Kurz vor der Bundestagswahl 2013 habe ich zusammen mit Kollegen im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung NRW eine erste Expertise zur AfD im Kontext des Forschungsfelds zum Rechtspopulismus erstellt. Die Resonanz auf die Veröffentlichung dieser Studie war nicht nur außerordentlich groß, sondern rief zudem erhebliche Empörung seitens der Anhängerschaft der AfD hervor. In diesen – via Mail oder in Internetforen artikulierten – Empörungen kam in vielen Fällen der Tenor eines rechtsorientierten Wutbürgertums deutlich zum Ausdruck. Der Slogan “Mut zur Wahrheit” offenbarte sich hierbei als Chiffre zur Rechtfertigung der offenen Artikulation herabsetzender Äußerungen: Unter dem Diktum “Das wird man doch wohl noch sagen dürfen”, wurde zumeist das Recht zur Äußerung von rechten Stammtischparolen sowie zur Diskriminierung Anderer artikuliert. Oftmals offenbarte sich dabei die Forderung nach “freier Meinungsäußerung” als eingeforderter Freibrief zum rechtsgerichteten Ressentiment. Dass die AfD für einen Teil ihrer Anhängerschaft als eine Art parteipolitisches Vehikel zur Artikulation angestauter Wut über gesellschaftliche Pluralisierung und emanzipative Liberalisierungstendenzen dienlich ist, wurde uns schon bei der Erstellung der Studie offenbar.

Einige Erkenntnisse aus unserer Studie waren auch für uns selbst überraschend. Drei zentrale Punkte möchte ich kurz benennen:

  1. Im Unterschied zu vielen unserer europäischen Nachbarländer konzentriert sich die öffentliche Diskussion hierzulande in Bezug auf die Gefahr von rechts immer noch schwerpunktmäßig auf den offen verfassungsfeindlichen Rechtsextremismus. Daher drehen sich viele Auseinandersetzungen um die Rechtslastigkeit der AfD zentral um den Einfluss rechtsextremer Kräfte wie etwa der NPD – eine meines Erachtens falsche Gewichtung. Zwar hat diese neue Partei zweifelsfrei auch ein Problem mit Neonazis und offenen extremen Rechten in ihren Reihen: Doch das Problem ihrer grundsätzlichen Ausrichtung besteht nicht im verfassungsfeindlichen Extremismus, sondern vielmehr darin, dass die AfD sich anschickt, die bislang in Deutschland noch existente rechtspopulistische Lücke parteipolitisch zu füllen. Anders ausgedrückt: Auch ohne Rechtsradikale in ihren Reihen stellt die AfD eine neue parteipolitische Herausforderung für die demokratische Zivilgesellschaft dar.
  2. Dies beinhaltet zugleich eine weitere Erkenntnis: Obwohl die AfD bislang vom Bonus einer neuen parteipolitischen “Alternative” profitiert hat, stellt sie unter inhaltlichen Gesichtspunkten das genaue Gegenteil dar. Denn trotz ihrer populistischen Polemik gegen die “Altparteien” stellt sich die AfD als eine im sprichwörtlichen Sinne reaktionäre Kraft gegenüber einer pluralistisch und multikulturell geformten Einwanderungsgesellschaft Ihre propagandistischen und programmatischen Verlautbarungen sindnationalliberale und nationalkonservative Rückgriffeauf die Zeiten einer “geistig-moralischen Wende” und ihren Anrufungen an nationale Identität, Antifeminismus und gesellschaftliche Emanzipationsfeindlichkeit, die angereichert werden mit neurechten Parolen gegen Doppelpass, homosexuelle Gleichstellung, Gender-Mainstreaming, Pazifismus, Antirassismus, Antinationalismus und der Anerkennung Deutschlands als multikulturell verfasster Einwanderungsgesellschaft.
  3. Damit einher geht ein national(istisch) und regressiv grundierter Alarmismus, der den Verlust “nationaler Identität” und das Schwinden “nationaler Interessen” durch eine angeblich volksfeindliche Politik der “Altparteien” beschwört. In diesem Kontext wurde uns eine zunächst verblüffende Erkenntnis deutlich: Als personifizierte parteipolitische Kraft zur “Zersetzung” nationaler wie auch im weiteren Sinne geschlechtlicher, familiärer und gesellschaftlicher Ordnungsvorstellungen innerhalb der AfD gelten weithin nicht die Linken, sondern die Grünen. Die grüne Partei steht, so weisen es zahlreiche Kommentare in Foren der AfD-Anhängerschaft auf, sinnbildlich als “zersetzende Kraft der Emanzipation” – so zugleich der Untertitel einer Schmähschrift über die Grünen aus einer Publikationsreihe des neurechten Instituts für Staatspolitik (IfS). Das IfS ist angegliedert an die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit (JF), welche sich zu einer Art informellem Parteiblatt der AfDentwickelt hat. Der selbsterklärte Daseinszweck der JF besteht in dem Bestreben, einer nationalliberal/konservativen Kraft rechts der CDU/CSU zum Durchbruch zu verhelfen. Dazu sei die “linke Hegemonie” in Medien und Politik zu durchbrechen, als deren erfolgreichste Träger die Grünen angesehen werden, weshalb sie zum “Hauptfeind” jenes Kulturkampfes von rechts hochstilisiert werden. Mit den Wahlerfolgen der AfD sehen diese nationalistisch-neurechten Kräfte erstmals seit Jahrzehnten wieder eine realistische parteipolitische Option, ihr Ziel einer Re-Nationalisierung des Politischen einhergehend mit einer emanzipationsfeindlichen gesellschaftlichen Restauration voranzutreiben.

 

Ostdeutsche Wahlerfolge

Nachdem die AfD nach dem Einzug in das Europaparlament auch souverän den Einzug in die ostdeutschen Landtage in Sachsen, Brandenburg und Thüringen gemeistert hat, steht sie vor einer neuen Herausforderung: Während sie sich zunächst lediglich als Nein-Sager-Partei gegenüber allen anderen als “Altparteien” abqualifizierten Parteien populistisch in Szene setzen konnte, muss sie nun ihre Tauglichkeit als realpolitisch handelnde Kraft unter Beweis stellen. Diese Aufgabe stellt die AfD, die ihren bisherigen Erfolg bislang lediglich aus dem Ausschöpfen günstiger politischer Gelegenheitsstrukturen – wie dem Merkel’schen Credo von der angeblichen “Alternativlosigkeit” der Euro-Rettungspolitik sowie den Nachwehen der Sarrazin-Debatte – zu verdanken hat, vor die grundsätzliche Prüfung ihrer (real-)politischen Handlungsfähigkeit. Statt wie bisher nur die rechtspopulistische parteipolitische Lücke auszufüllen, muss die AfD nun demonstrieren, dass sie eine im parteipolitischen Sinne reale “Alternative” darstellen kann. Eine Herausforderung, die die Partei angesichts der massiven innerparteilichen Konflikte und einer mehr als dürftigen Personaldecke handlungsfähiger Akteurinnen und Akteure vor eine existenzielle Herausforderung stellt.

Einher mit ihrer landespolitischen Verankerung geht die politisch-programmatische Erweiterung der AfD, die sich mehr und mehr als kompatible Partei zu den rechtspopulistischen Thesen des Erfolgsbuchautors Thilo Sarrazin in Szene zu setzen versucht. Die AfD weist trotz erheblicher parteiinterner Konflikte durch ihre Wahlerfolge eine Tendenz zur politischen Konsolidierung auf, welche einhergeht mit ihrer parteipolitischen Verankerung rechts der etablierten konservativen Parteien. Die Europawahl hat zur Bildung eines wohlstandschauvinistischen Blocks marktradikaler und nationalkonservativer Europaskeptikerinnen und -skeptikern unter Einbeziehung der AfD im Bündnis mit den rechtspopulistischen “Die Finnen” und der “Dänischen Volkspartei” (DVP) unter dem Dach der Fraktion der “Europäischen Konservativen und Reformisten” (EKR) geführt. Entgegen der vor der Wahl getroffenen Versprechen, auf Abstand zu rechtspopulistischen Parteien zu gehen, verkündete AfD-Bundessprecher Bernd Lucke nun ebendieses Bündnis mit Nationalkonservativen und Rechtspopulisten in der EKR-Fraktion als Sieg gegenüber jenen, “die die AfD in die rechte Ecke schieben möchten”.

Nationalistische Mottenkiste

Mit der Adligen Beatrix von Storch hat die AfD eine Politikerin mit einem bemerkenswerten Demokratieverständnis in das Europaparlament entsandt. In ihrer Bewerbungsrede zur Europawahl erklärte von Storch: “Demokratie geht nur national. Sie geht nicht international. Sie heißt: Herrschaft des Volkes, es heißt: eines Volkes, nicht Herrschaft der Völker.” Das klingt wie ein Rückgriff in die nationalistische Mottenkiste der Fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.

Mit Marcus Pretzell ist zudem ein AfD-Abgeordneter im EU-Parlament vertreten, der keine Berührungsprobleme mit der rechtspopulistischen UKIP hat. Er trat etwa bei einer Veranstaltung der “Jungen Alternative” im Frühjahr 2014 in Köln auf, bei der UKIP-Chef Nigel Farage als Hauptredner geladen war.

Doch noch wichtiger als der Einzug ins Europaparlament galt in der AfD ein erfolgreicher Einzug in die nationalen Landesparlamente. Ihrem Einzug in Sachsen in fast zweistelliger Größe weit vor den Grünen und nahe an den Prozentzahlen der SPD kam der AfD die mehr als nur zaudernde Haltung der im bundesweiten Vergleich weit rechts stehenden CDU als Regierungspartei hinsichtlich möglicher Koalitionen zugute. Deutliche Anzeichen für eine rechtspopulistische Stoßrichtung finden sich zudem im sächsischen Wahlprogramm der Partei, in welches unter anderem die Forderung nach Volksabstimmungen über den Bau von Moscheen mit Minaretten aufgenommen worden ist. Ebenso fand die Forderung nach einer Quote für deutschsprachige Musiktitel in Hörfunk und Fernsehen Eingang in das Programm. Angereichert wurden solche Forderungen mit fragwürdigen Vorstellungen von elterlicher Stimmenverdoppelung bei Wahlen: Für Frauke Petry aus dem AfD-Landesvorstand sollten laut Presseberichten “Eltern in Zukunft auch ein Stimmrecht für ihre minderjährigen Kinder bekommen”. Die über 13.000 Stimmen von vormaligen Wählerinnen und Wählern der NPD bei der Sachsen-Wahl zeigen, dass dieser Erfolg zudem durch einen stramm rechten Kurs erkauft worden ist. Ähnliches wiederholte sich bei den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg: Mit typisch rechtspopulistischen Anti-Kriminalitäts- und Anti-Asyl-Parolen wies der AfD-Wahlkampf frappierende Ähnlichkeiten mit NPD-Forderungen auf.

Frappierende Ähnlichkeiten mit NPD-Forderungen

Ein weiteres Anzeichen für einen deutlicheren Rechtsruck zeigt sich in der von Mitgliedern der AfD im Januar 2014 gegründeten Patriotischen Plattform. In ihrem Gründungsaufruf wendet sich die Patriotische Plattform u.a. “gegen die Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft auf seinem [Deutschlands] Boden”. Aus diesem Umkreis erfolgte beispielsweise im Vorfeld der sächsischen Landtagswahl die Einladung des FPÖ-Strategen Andreas Mölzer zu einer Diskussionsveranstaltung, die aufgrund öffentlicher Skandalisierung nicht zustande kam. Die Forderung nach “nationaler Identität” scheint sich zum zentralen Themenfeld für die AfD zu entwickeln: So gab der Spitzenkandidat der AfD-Thüringen, Björn Höcke, der neurechten Zeitschrift “Blaue Narzisse” unter der Überschrift “Die AfD als identitäre Kraft” ein langes Interview, in dem er die, “Frage nach der Identität für die zentrale Frage der Menschheit im 21. Jahrhundert” erhob, da diese “der Schlüssel zu ökonomischen und ökologischen Homöostasen, also ausgleichenden Selbstregulierungen einer Gesellschaft” sei. Und weiter: “Die Deutschen und die Europäer haben die Aufgabe, den Wert ihrer Hochkultur wiederzuentdecken.” Zudem verlieh er seiner Sympathie für den muslimfeindlichen Populismus von Sarrazin mit folgenden Sätzen Ausdruck: “Thilo Sarrazin sagte einmal, daß er, wenn er den Muezzin rufen hören möchte, ins Morgenland fahren würde. Dem ist nichts hinzuzufügen.”

Die AfD als „Catch all“-Partei?

Bei den öffentlichen Auswertungen der ostdeutschen Landtagswahlen wurde wiederkehrend die Behauptung aufgestellt, die AfD habe ihre Zustimmung auch von Wechselwählenden aller anderen Parteien erhalten. Dies stimmt nur, wenn die Grünen dabei ausgeklammert werden. Die Grünen sind – so meine These – nicht nur das sinnbildliche Feindbild der AfD-Anhängerschaft, sondern zugleich ist auch die grüne Anhängerschaft im parteipolitischen Vergleich mit Abstand am Deutlichsten immun gegenüber der AfD-Propaganda. Über die Gründe lässt sich viel spekulieren. Ein hilfreicher Deutungsansatz liegt in der sozialen Frage, der zugleich auch eine neue Herausforderung grüner Politik im Umgang mit rechts darstellt. Denn die AfD hat keine Skrupel, in ostdeutschen Wahlkämpfen entgegen ihrer Programmatik als “Anwalt” der Entrechteten und Benachteiligten aufzutreten, indem sie ihnen zugleich ein Protestventil wie auch passende Blitzableiter bietet: die “Altparteien” und die Zuwandernden. Das Ganze wurde zudem populistisch angereichert mit regressiv-nostalgischen Rückgriffen auf den angeblichen Segen der DDR-Sicherheitspolitik. Die Grünen hingegen haben ihre Anhängerschaft in politischen, sozialen und alltagskulturellen Milieus, welche denen der AfD konträr gegenüberstehen, was zugleich als Segen wie Herausforderung gedeutet werden kann. Denn wenn Politik zugleich als Aufgabe verstanden wird, auch den sozial Benachteiligten, Ausgegrenzten und den “einfachen Leuten” zu Recht und Würde zu verhelfen, steht auch die grüne Partei vor der Aufgabe, neue politische Angebote für diese Schichten und Milieus zu entwickeln. Ihr Sonderstatus im Verhältnis zur AfD hat zufolge, dass sie in der konfrontativen politischen Auseinandersetzung eine Vorreiterrolle einnehmen kann.

 

Die komplette Studie Die “Alternative für Deutschland” – eine rechtspopulistische Parteides Autors Alexander Häusler kann auf der Seite der Landesstiftung NRW heruntergeladen werden.