Laut GRAIN, einer NGO mit Sitz in Barcelona, haben ausländische Investoren in den letzten Jahren mindestens 35 Millionen Hektar Land in 66 Staaten erworben. Dieses als Land-Grabbing bezeichnete Phänomen wurde bis jetzt hauptsächlich mit afrikanischen und südamerikanischen Ländern verbunden. Der Begriff bezieht sich normalerweise auf den Erwerb von Land durch nicht-lokale Akteure und die darauffolgende Ausbeutung mit dem Ziel landwirtschaftliche Profite zu steigern, ohne die Interessen der lokalen Bevölkerung (vor allem Kleinbäuerinnen und –bauern) oder Umweltbelange in Betracht zu ziehen. In diesem Artikel werde ich auf derzeitige Land-Grabbing Praktiken in Mittel- und Osteuropa fokussieren, die bis dato von Medien und Zivilgesellschaft im Westen Europas großteils unbeachtet bleiben.

Während in Westeuropa die maximale Anbaufläche oftmals beschränkt ist und Familienbetriebe geschützt werden, verschlechtert sich die Lage für Kleinbäuerinnen und –bauern in den ehemals sozialistischen Ländern Osteuropas. Demokratische Institutionen und die politische Kultur entwickeln sich hier zu langsam und BürgerInnen stehen den aggressiven Interessen des Kapitals oft machtlos gegenüber. Im Folgenden werde ich auch einen entscheidenden Faktor in der Transformation der Landwirtschaft seit dem Ende der sozialistischen Ära fokussieren: den Kampf um die Kontrolle über kultivierbares Land.

Es gibt wichtige Ähnlichkeiten in der Transformation hin zu Großgrundbesitz (oftmals über mehr als einige Tausend Hektar) zwischen Ungarn, Rumänien, der Slowakei und Serbien. Spezifisch für Ungarn ist allerdings, dass der Prozess, den ich als Land-Grabbing beschreibe, nicht durch ausländische Investoren vorangetrieben wird, da der Erwerb von Land durch nicht-ungarische StaatsbürgerInnen durch ein Moratorium verboten wurde, das erst 2014 auslaufen wird. Dieses Phänomen, das soziale Spannungen in ländlichen Regionen Ungarns steigen lässt, ist vielmehr durch ’nationale Oligarchen’ verursacht, die im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte enge Beziehungen zu Ungarns politischer Elite aufgebaut haben. Diese eng verstrickte Gruppe konnte diese Beziehungen ausnutzen und sich große Teile des zur profitmaximierenden Ausbeutung geeigneten Landes sowie die europäischen landwirtschaftlichen Subventionen, die damit einher gehen, aneignen.

„Das Land gehört jenen, die es bebauen“ – zumindest laut eines politischen Slogans, der immer wieder im Ungarn des 20. Jahrhunderts aufkam. Er basiert darauf, dass der ländlichen Bevölkerung mehrere Male im vergangenen Jahrhundert Landtitel zugesprochen wurden. Trotz dieser Maßnahmen, ist die ungarische Landwirtschaftsstruktur seit 500 Jahren von einem Gegensatz zwischen ’riesigen’ und ’Zwerg’-Anwesen charakterisiert. Nach dem Regimewechsel 1990 wurden die großen sozialistischen Kooperativen, die den ungarischen Landwirtschaftssektor dominiert hatten, großteils aufgelöst. Staatliche Höfe wurden aufgeteilt und günstig verkauft oder langfristig verpachtet. Diese Maßnahme förderte Akteure, die Zugang zu Kapital hatten – das waren in der Regel nicht jene, die das Land tatsächlich bestellten, sondern in Stätten ansässige Bankiers und Manager, die Land als Investition betrachteten. Folglich steuerte diese Praxis dazu bei, die Anzahl der in der Landwirtschaft tätigen Akteure zu reduzieren. Immer mehr Dörfer wurden verlassen, Ungarns Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln wurde geschädigt und die bäuerliche Bevölkerung altert, da immer weniger Menschen in der Landwirtschaft tätig sein möchten (aufgrund von finanziellen Engpässen und der Unsicherheit am Nahrungsmittelmarkt). Daraus resultierte, was wir Landkonzentration nennen, das in Ungarn mit einer Stärkung des Gegensatzes, also der Polarisierung zwischen ’Zwergen’ und ’Riesen’ im Agrarsektor einhergeht – bezeugt durch die Tatsache, dass die durchschnittliche Fläche des sogenannten Großgrundbesitzes mit 3.200 Hektar in Ungarn eine der größten in Europa ist.

DIE JÜNGSTEN KORRUPTIONSFÄLLE

Dieses komplexe Problemset hätte zumindest durch das Verpachten von jenem Land, das noch im Staatsbesitz blieb, reduziert werden können. Seinen Wahlversprechungen treu bleibend sprach die 2010 gewählte Regierung ein Angebot zur Verpachtung aus, dessen Ziel die Stärkung bäuerlicher Familienbetriebe war. Dieses Programm hätte es Kleinbäuerinnen und –bauern ermöglicht, Land zu günstigen Konditionen für 20 Jahre zu pachten. Dieses kostengünstige, langfristige Verpachten von Land hätte die Landflucht verlangsamt, lokale Gemeinden revitalisiert und gleichzeitig den Vorstoß großflächiger, auf Monokulturen basierender Landwirtschaft gezügelt. Diese Ziele wurden letztendlich jedoch nicht erreicht. Direkt nach der Bekanntmachung der Resultate der ersten Verpachtungsrunde kam eine Reihe von Skandalen ans Licht, die zeigten, dass dieses Programm entgegen der Regierungsversprechen vielmehr den Interessen bestimmter ungarischer Agroindustrieller förderlich war: Jene, die gute Beziehung zur regierenden Partei unterhielten, erlangten große Ländereien für 20 Jahre. Die neue Gesetzgebung über die Verpachtung von Land steckt voller Schlupflöcher. Anträge werden geheim gehalten, ihre Ablehnung wird nicht gerechtfertigt, urbane Größen werden oft gegenüber der lokalen Bevölkerung bevorzugt, und die Beschränkungen der zu verpachtenden Flächen können leicht umgangen werden, indem im Namen von Geschwistern oder Ehepartnern erneut beantragt werden kann. Weiters gewinnen oft KandidatInnen mit aus professioneller Sicht viel schwächeren Anträgen, da 40% des Vergabeschemas auf subjektiven Kriterien beruhen. Die Praxis hat demnach gezeigt, dass Schlupflöcher in der Gesetzgebung schnell ausgenutzt wurden und Land-Grabbing rasant ansteigt.

Frustration und Wut haben nun die positiven Erwartungen ersetzt, die nach dem Regierungswechsel unter Bäuerinnen und Bauern weit verbreitet waren. Es ist kein Zufall: viele von ihnen sind der Meinung, die regierende Partei (Fidesz) habe sie hintergangen. Wahlversprechen lauteten, die Landvergabe würde lokale Familien und Klein- und Mittelbetriebe fördern. Damit war die Hoffnung verbunden, dies würde Arbeitsplätze in kleineren Gemeinden generieren. Diese Versprechen wurden großteils von József Ángyán vorgebracht, ein Professor und Gewerkschafter, der zum Landwirtschaftsminister ernannt wurde. Als er mit den bekanntgewordenen Skandalen der ersten Vergaberunde konfrontiert wurde, trat er aus Protest zurück und sprach sich gegen den Vorstoß ’nationaler Oligarchen’ aus.

Diese ungewöhnliche Demonstration von Integrität und Engagement zog auch in den Gemeinschaften, die durch die Agroindustrie Lobby benachteiligt wurden, seine Kreise. So war es der Fall in Kajászó, einem transdanubischen (rechts der Donau gelegenem) Dorf, das seither ein Symbol der Machtmissbräuche in Zusammenhang mit der Verpachtung von Land geworden ist. Lokale Anwerter erhielten nicht einen einzigen Quadratmeter Land der Acker- und Weideländer, die das Dorf umgeben. Stattdessen gewann zum Erstaunen der lokalen Bevölkerung ein einziger Kandidat aus einem anderem Dorf die gesamten 173 Hektar öffentlichen Landes obwohl er keinerlei landwirtschaftliche Erfahrung hatte. Die Mitglieder der Gemeinde wandten sich an die entsprechenden Institutionen, aber ihre Beschwerden – von JournalistInnen und meinen eigenen Parlamentsreden unterstützt – wurden schlichtweg ignoriert. Daraufhin entschlossen sich Kajászós Bewohner dazu sich selbst zu organisieren, und zwar mit dem Ziel, lokale Kontrolle über Land zu sichern und die Rechte von Bäuerinnen und Bauern in einem neuen Gesetz zu verankern, das noch in Arbeit ist. Ihre Taktik war von José Bovés Besuch inspiriert, der als gemeinsames Projekt der ungarischen und europäischen Grünen organisiert wurde. In einer symbolischen Beschlagnahmungsaktion pflügten sie einen Landstrich, der – ihrer Meinung nach ungerechtfertigterweise – an den Gewinner der Ausschreibung verpachtet wurde und unterlegten dieses Stück Land der Autorität des lokalen Rates.

Weiters ermutigten sie andere ungarische Gemeinden, ebenfalls Bäuerinnen- und Bauernrate zu gründen. Um ihre Interessen effizient zu vertreten, gründeten sie die Vereinigung bäuerlicher Räte, eine grassroots-Initiative mit dem Hauptziel, kleinbäuerliche ProduzentInnen zu ermächtigen, organisiert für ihre eigenen Interessen einzutreten. Diese neue Organisation will sicherstellen, dass die Regierung eine neue Vergabestruktur für öffentliches Land unter Partizipation von Bäuerinnen und Bauern entwickelt, sodass unter ’lokalen ProduzentInnen’ tatsächlich Mitglieder einer lokalen Gemeinschaft verstanden werden und nicht Menschen, die bis zu 20 Kilometer entfernt leben (möglicherweise in einem anderen Dorf oder einer Stadt). Diese Forderungen sind in den von mir vorgeschlagenen Gesetzesänderungen widergespiegelt.

Durch das oben beschriebene Land-Grabbing ist nun ein signifikanter Anteil der Landwirtschaftsflächen in Ungarn in den Händen einer handvoll Individuen und Interessensgruppen. Die erstaunlich hohe Konzentration, die sowohl Zugang zu Land als auch zu landwirtschaftlichen Subventionen charakterisiert, wurde über die Websitewww.farmsubsidy.org bekannt gemacht. Ein kurzer Blick zeigt, dass allein im Jahr 2011 die drei größten Interessensgruppen unglaubliche 10 Milliarden HUF (circa 35 Millionen Euro) an Subventionen erhielten. Die Website zeigt weiters, dass eine dieser Gruppen (Boly Ltd., im Besitz des Präsidenten und CEOs der OTP Bank Sándor Csányi) die zweithöchste landwirschaftliche Subvention in der EU seit 2008 erhielt: in der Höhe von € 15.549.278. Große Landeigentümer beschäftigen lediglich ein Sechstel der ArbeiterInnen in der Landwirtschaft. Während sie jährlich etwa 500 Milliarden HUF (€1,75 Milliarden) erwirtschaften, genenerieren sie nur minimal Mehrwert in der Produktion, hinterlassen aber gleichzeitig einen massiven ökologischen Fussabdruck. Weiters kann das halbe Dutzend Landbesitzer, die (wie die Vergabe-Praxis von Land klar zeigt) Ungarns Landwirtschaft kontrollieren, sehr leicht Steuern hinterziehen, wie der Fall von Herrn Csányi zeigt, der laut Pressemeldungen signifikante Anteile seines Einkommens nach Singapur, eine bekannte Steueroase leitet. Aufgrund dieser Geschehnisse bewerte ich die derzeitigen Trends und Strukturen als nicht nachhaltig aus ökologischer, ökonomischer und auch sozialer Perspektive.

WACHSENDER WIDERSTAND

Zur Zeit ist es schwierig, mit Optimismus auf die Frage nach Möglichkeiten einer ökologisch und sozial nachhaltigen Landwirtschaft in Ungarn zu reagieren. Regierungsnahe Bäuerinnen und Bauernverbände haben gemeinsam mit 141 im Umweltbereich tätigen NGOs ein Positionspapier unterzeichnet, das unter anderem die Umsetzung der Erweiterungsvorschläge von PM-Dialog für Ungarn fordert, um das Landgesetz, das derzeitig Großgrundbesitz fördert, nachhaltiger zu gestalten. Während die Debatte über das neue Landgesetz zwar noch nicht abgeschlossen ist, stehen seine Chancen eher schlecht. Der derzeitige Vorschlag könnte nur von der Einflussnahme von Oligarchen geschützt werden, wenn der Großteil der vorgeschlagenen Änderungen und Erweiterungen angenommen wird – diese Wahrscheinlichkeit ist allerdings gering in Anbetracht parlamentarischer Mathematik und der wohl bekannten Zurückhaltung der Regierungsparteien, eigene Standpunkte aufgrund von Anliegen ’von unten’ zu verändern.  Nichtsdestotrotz hat sich die ungarische Regierung selbst in eine Situation manövriert, in der sie an zwei Fronten kämpfen muss. Während kleinbäuerliche ProduzentInnen weiterhin für den Schutz ihrer Lebensgrundlage kämpfen werden, werden Großgrundbesitzer die Regierung mit dem Argument kritisieren, dass das neue Landgesetz große Betriebe zerstören könnte (und über sinkende Agrarexporte auch der Regierung schaden würde). Während dieser Zusammenprall verschiedener Interessen von Beginn an angelegt war, hätte die Regierung die jetzigen Spannungen abwenden können und somit ihre Glaubwürdigkeit bewahrt, hätte sie die Zwei-Drittel Mehrheit verwendet, um eine durchsetzbare Strategie aufzustellen, anstatt die Reformvorschläge von Jószef Ángyán stillschweigend zu boykottieren.

Die Tatsache, dass Bäuerinnen und Bauern angefangen haben sich zu organisieren und dass in dem ehemals monolithischen Block der konservativen Regierungsparteien Risse erkennbar werden, sind ermutigende Zeichen. Als Delegierte von PM-Dialog für Ungarn ist es unsere Aufgabe, für die Interessen von Familienbetrieben und für ökologische Prinzipien einzutreten. Der Kampf kann nur mit Unterstützung der Bevölkerung gewonnen werden – hierfür müssen allerdings auch jene, deren Einkommen nicht von der Landwirtschaft abhängt, verstehen, was auf dem Spiel steht: die Sicherung des Nahrungsmittelangebotes, die Nachhaltigkeit ländlicher Räume, und somit die Zukunft des gesamten Landes.

 

Dieser Artikel wurde ursprünglich veröffentlicht von Grüne Bildungswerkstatt.