Russland ist nicht das einzige Land, das eine starke Einflusspolitik gegenüber den liberalen Demokratien verfolgt. Ein neuer Bericht des Mercator Institute for China Studies (MERICS) und des Global Public Policy Institute (GPPi) warnt vor der zunehmenden Einflusspolitik Chinas. Die Kommunistische Partei bemüht sich verstärkt, auf europäische Staaten Einfluss zu nehmen, um politische und wirtschaftliche Ziele zu verfolgen und das eigene, autoritär orientierte Politikmodell zu bewerben. Wir sprachen mit Kristin Shi-Kupfer, Ko-Autorin des Berichts, über die zunehmende chinesische Einflussnahme, ihre Ziele und welche Antwort Europa geben sollte.

Roderick Kefferpütz: Nach dem Kalten Krieg wurde das „Ende der Geschichte“ verkündet. Das Modell der liberalen Demokratie hätte gewonnen und es würde kein Gegenmodell mehr geben. Ist das immer noch der Fall oder befinden wir uns gegenwärtig in einem Wettbewerb der Gesellschaftssysteme mit China?

Kristin Shi-Kupfer: Wir sehen auf jeden Fall, dass die liberalen Demokratien in einer Krise sind. Das sehen wir ganz deutlich in den Kernstaaten dieses Gesellschaftsmodells, den USA und teilweise in Europa. Sie sind herausgefordert, sich neu zu erklären. Aufgrund dieser Krise im Westen bekommen der Entwicklungsweg und das System in China natürlich mehr Aufmerksamkeit. Die chinesische Führung unter Xi Jinping selbst hat auf dem letzten Parteitag anklingen lassen, dass der chinesische Entwicklungspfad dem System des Westens überlegen sein könnte. Peking bietet diesen alternativen Entwicklungspfad auch schon aktiv an, in der Form von Investitionen und Engagements in Entwicklungsländern, ohne dabei Good-Governance-Prinzipien wie Rechtstaatlichkeit und Transparenz zu berücksichtigen.

Nun wächst die Einflussnahme ausländischer Kräfte in den liberalen Demokratien. Vor allem Russland steht im Fokus.  In Ihren Bericht thematisieren sie aber China als unterbewerteten Player. Warum?

Bei Russland ist die Einflusspolitik relativ klar zu fassen. Sie ist eher destruktiv angelegt mit dem Ziel, Demokratien zu unterwandern. Die chinesische Vorgehensweise ist viel langfristiger und subtiler. Da geht es nicht nur um Unterwanderung oder Desinformation, wie es bei russischer Einflusspolitik der Fall ist. China nutzt eine Bandbreite von offenen und verdeckten Kanälen. Man bietet Investitionen an, schließt Kooperationen ab, baut Netzwerke auf und organisiert gemeinsame Konferenzen mit Think-tanks. Es ist eine sehr subtile Art des networking. Aber dieses Netzwerk kann dann auch mobilisiert werden, wenn es um die eigenen Interessen geht.

Zyniker würden aber sagen, die Europäer machen das doch auch.

Ja, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Aber die Frage, wo liegt der Unterschied zwischen legitimer public diplomacy und illegitimer Einflussnahme ist nicht die primäre Fragestellung. Der entscheidende Unterschied ist das politische System. In China gibt es keinen pluralistischen Wettbewerb und keine Transparenz. Nationale Interessen sind im Prinzip Parteiinteressen. China hat ein anderes politisches Ordnungssystem, das ganz andere Prozesse und Interessen generiert. Deshalb ist jede Aktion des chinesischen Staates in Richtung Europa potentiell problematisch bzw. muss genau unter die Lupe genommen werden.

Wofür werden diese chinesischen Netzwerke denn mobilisiert? Was sind chinesische Interessen gegenüber Europa?

Es gibt unterschiedliche Ebenen. Erstens gibt es klare wirtschaftliche Interessen. Da geht es zum Beispiel darum, Zugang zu Technologien zu gewinnen, indem man sich bei Hightech-Unternehmen einkauft oder darum, neue Absatzmärkte zu schaffen, etwa durch die Seidenstraße-Initiativen. Dann gibt es auch politische Interessen. Bei Fragen zum Südchinesischen Meer oder bei Menschenrechtsfragen möchte man eben auch Akteure innerhalb Europas haben, welche die chinesische Position unterstützen. Natürlich gibt es auch das Ziel, die Einheit Europas zu stören. Auf der einen Seite braucht man Europa als Gegengewicht zu den USA, auf der anderen Seite will man nicht, dass Europa als geschlossener Akteur gegenüber China auftritt.

„Peking selbst hat auf den letzten Parteitag deutlich gemacht, dass der chinesische Entwicklungspfad möglicherweise überlegener ist als das System des Westens.“

Letztlich geht es auch darum, Legitimität für das eigene System und den eigenen Entwicklungsweg zu gewinnen. Internationale Kooperation und Verflechtung schafft Anerkennung und Unterstützung. Das wirkt wiederum nach innen.

Gibt es denn EU-Mitgliedstaaten die besonders anfällig gegenüber chinesischer Einflusspolitik sind?

In der Studie war es uns wichtig klarzustellen, dass ganz Europa davon betroffen ist. Aufgrund der Größe und wirtschaftlichen Stärke, sind Länder wie Deutschland oder Frankreich weniger anfällig als die süd- oder osteuropäischen Staaten, aber wir warnen vor einer westeuropäischen Überheblichkeit. Mediale Einflussnahme und chinesische Investitionspolitik sehen wir auch in den westeuropäischen Ländern.

Die Staaten in Ost- und Südeuropa sind allerdings anfälliger, weil sie in einer viel schwächeren Position sind. Sie sind stärker auf wirtschaftliche Kooperation und Investitionen angewiesen und haben weniger Möglichkeiten, direkt und auf Augenhöhe mit China zu sprechen. Deswegen sind die osteuropäischen Mitgliedstaaten auch so vom 16+1 Mechanismus begeistert. Es bietet ihnen die Chance einer direkten und persönlichen Kommunikation mit den chinesischen Machthabern.

Nun muss man aber auch sagen, dass diese Länder, wie Ungarn zum Beispiel, teilweise mit autoritären Tendenzen innerhalb ihres Landes sympathisieren. Deswegen fällt es ihnen vielleicht auch leichter, mit China zusammenzuarbeiten.

Sie beschreiben die gegenwärtige, subtile Art der chinesischen Einflusspolitik. Wie könnte diese sich denn weiterentwickeln?

In unserem Bericht nutzen wir Australien als Blaupause, um aufzuzeigen, wohin sich das entwickeln könnte. Im australischen Parteiensystem kamen bis zu  80 Prozent der ausländischen Parteispenden aus China. Zahlreiche Politiker arbeiten nach ihrer politischen Karriere bei chinesischen Unternehmen und der australische Geheimdienst hat zehn Politiker auf der regionalen und lokalen Ebene identifiziert, die angeblich enge Verbindungen zum chinesischen Geheimdienst haben. Die chinesische Einflussnahme geht da tief in die politische Elite hinein. Auch in den Medien sind wohl bestimmte Entscheidungsprozesse finanziell gezielt beeinflusst worden.

„Im australischen Parteiensystem kamen bis zu 80 Prozent der ausländischen Parteispenden aus China.“

All das sehen wir in Europa nicht. Aber es könnte so kommen. Davor warnen wir. Darum plädieren wir für mehr Aufmerksamkeit gegenüber chinesischer Einflusspolitik und auch z.B. für entsprechende Offenlegungspflichten für Parteien oder möglicherweise auch einfach Verbote von bestimmten Spenden

Welche weiteren Handlungsempfehlungen machen Sie, gerade bezüglich der Investitionspolitik?

Da läuft schon einiges. Frankreich, Italien und Deutschland haben schon einen Vorstoß gemacht für ein europäisches Investitionsprüfungsregime. Dieses Regime würde es erlauben, ausländische Investitionen in strategischen Bereichen, wie z.B. in der Stromversorgung oder in Unternehmen mit wichtigen Technologien, zu prüfen oder auch zu untersagen. Wir gehen aber einen Schritt weiter und sagen, man sollte die kritischen Bereiche breiter fassen. Gerade die Medien und der akademische Bereich müssen berücksichtigt werden. Man muss vermeiden, dass Wissenschaft und Medien unter solch einen kommerziellen Druck geraten, dass sie auf chinesisches Geld angewiesen sind bzw. verwundbar sind in dieser Hinsicht. Um das zu verhindern, brauchen die öffentlich-rechtlichen Medien und Universitäten auch eine solide Grundsicherung.

Inwiefern bietet die Digitalisierung neue Möglichkeiten der Einflusspolitik? Europa schaut immer nach Amerika und kritisiert Apple, Facebook und Google, während im Osten die Tech-Titanen Tencent, Alibaba und Baidu voranschreiten. Kommen die nicht auch irgendwann auf den europäischen Markt und stellen uns möglicherweise vor Herausforderungen?

Das beginnt jetzt. In Deutschland und anderen europäischen Ländern gibt es mit Wechat und Alipay bargeldlose Bezahlmethoden. Für chinesische Touristen in Deutschland bietet die deutsche Drogeriekette Rossmann zum Beispiel Alipay an. Und Huawei will sich am 5G-Ausbau in Europa beteiligen. Die chinesischen Digitalunternehmen sind in Europa also bereits auf dem Vormarsch und das hat auch Bedeutung bezüglich der Datenströme.

 „Europa braucht mehr Selbstrespekt und Selbstbewusstsein. Dann wird man auch mehr Respekt bekommen. Ansonsten denken die anderen, die lassen alles mit sich machen.“

Europa hat da einfach lange Zeit geschlafen. Es ist nicht gut, dass wir in Europa so wenig eigene digitale Player haben.

Mit der neuen EU-Datenschutzverordnung werden natürlich gewisse Grenzen aufgezeigt. Da justiert die chinesische Seite auch nach, um diese transnationalen Datenströme zu gewährleisten. Wir sehen zum Beispiel, dass sich die chinesischen Standards ein wenig den europäischen Datenstandards anpassen.

Hinterfragen sollte man auch, inwiefern diese Technologien in anderen Bereichen angewandt werden. China hat zum Beispiel bilaterale Abkommen mit Italien, Frankreich und Griechenland zur polizeilichen Zusammenarbeit. Zum Schutz chinesischer Touristen gehen dann chinesische Polizisten in Rom und Paris gemeinsam mit ihren europäischen Kollegen auf Streife. Problematisch wäre es, wenn chinesische Polizisten dabei Gesichtserkennungs-Brillen und andere Geräteeinsetzen würden, gerade in Hinblick auf chinesische Dissidenten und Bürgerrechtler, die sich in Europa aufhalten. Solche Sachen muss man von Anfang an bei Kooperationsabkommen mitdenken und klare Bedingungen festlegen.

Europas Werte und Interessen müssen gegenüber China stärker vertreten werden. Europa braucht mehr Selbstbewusstsein. Dann wird man auch mehr Respekt bekommen. Ansonsten denken die anderen, die lassen alles mit sich machen.