Seit Jahrzehnten rollt über Europa eine Privatisierungswelle hinweg, die viele Investoren, Banken und Beraterfirmen reich, aber nur wenige Bürger glücklich gemacht hat. Das große neoliberale Versprechen, privatisierte Versorgungsunternehmen könnten ihre Kunden billiger bedienen – mit Wasser, Strom, Verkehrsangeboten – hat sich regelmäßig als Trug und oft genug auch als Lug erwiesen.

Die neueste Studie des Transnational Institute (TNI) über das Wirken der „Privatisierungsindustrie“ kommt zu dem Schluss, es gebe „keinen Beleg dafür, dass privatisierte Firmen effizienter arbeiten“. Dagegen habe die Privatisierungswelle die Lohnstruktur unterspült, die Arbeitsbedingungen verschlechtert und die Einkommensunterschiede vergrößert. [1]

Ein Sonderfall in Sachen Privatisierung ist Griechenland. Im Zuge der Schuldenkrise wird das Land von seinen Gläubigern gezwungen, möglichst viele öffentliche und halböffentliche Unternehmen zu verkaufen oder zu verpachten – mit dem alleinigen Ziel, die staatliche Schuldenlast abzutragen.

Diese Veräußerung öffentlichen Besitzes ist der absurdeste Aspekt der „Rettungsprogramme“, die der griechischen Wirtschaft eine siebenjährige Rezession beschert haben. Einen bankrotten Staat mitten in der Krise zur Privatisierung öffentlicher Unternehmen zu zwingen, bedeutet stets einen „Verkauf zu Discountpreisen“, konstatieren die TNI-Autoren. Selbst das berühmte „Tafelsilber“ ist in einer tiefen Rezession zu einem fairen Preise nicht loszuschlagen, sein Verkauf erfüllt den Tatbestand der Untreue.

Das gilt ganz unabhängig von der Abwägung der gesellschaftlichen Vor- und Nachteile eines „öffentlichen Sektors“. Die ist im Fall Griechenland freilich komplizierter als anderswo, weil es für bestimmte Privatisierungen durchaus Argumente gibt. Etwa bei staatlichen Unternehmen, die traditionell als „Versorgungsbetriebe“ der besonderen Art dienen, weil sie nicht nur unentbehrliche Leistungen (Strom, Verkehrsverbindungen) bieten. Ihr sekundärer Daseinszweck besteht darin, die Klientel der jeweiligen Regierung mit gut bezahlten, sicheren und häufig bequemen Posten zu versorgen – auf Kosten der Kunden und der Steuerzahler. [2]

Das erklärt, warum die Veräußerung öffentlicher Dienstleister bei vielen Griechen keineswegs unbeliebt war. Eine große Mehrheit war für die frühere Teilprivatisierung der Telefongesellschaft OTE oder der nationalen Fluggesellschaft Olympic Airways und findet, dass OTE und Olympic seitdem besser und kundenfreundlicher funktionieren. Und noch im April 2011 hielten über 70 Prozent der Griechen Privatisierungen „generell für notwendig“. [3]

Ein weiterer Aspekt ist die Ebbe in der Staatskasse. Wenn der Verkauf öffentlicher Unternehmen oder Immobilien mit Investitionen einhergeht, für die der griechische Staat kein Geld hat, finden viele Griechen das gar nicht so schlecht – etwa im Fall der staatlichen Eisenbahn ESA. Auch die meisten Griechen wollen, dass lebenswichtige Dienstleistungen nicht privaten Profitinteressen dienen sollen. Aber sie fragen sich auch, ob der bankrotte Staat seine Unternehmen effizient und kundenfreundlich betreibt.

Für die Bewertung eines Privatisierungsvorhabens stellen sich damit drei Fragen: Steht der Erlös für Verkauf oder Verpachtung des Unternehmens in einem vernünftigen Verhältnis zu den Einnahmen, die der öffentlichen Hand dadurch künftig entgehen? Geht die Privatisierung mit der Verpflichtung zu neuen Investitionen einher? Welchen Einfluss behält der Staat bei Entscheidungen von strategischer Bedeutung?

Diese Fragen gelten auch für die beiden wichtigsten griechischen Privatisierungsprojekte: den Verkauf von 67 Prozent der Anteile an der Hafengesellschaft von Piräus (OLP) an das chinesische Staatsunternehmen Chinese Ocean Shipping Company (Cosco) und die Verpachtung von 14 Flughäfen an ein Konsortium unter der Führung des deutschen Unternehmens Fraport.

Beim Erwerb der OLP-Mehrheit durch die Cosco fällt ein Umstand ins Auge, der fast alle griechischen Privatisierungsauktionen kennzeichnet: Am Ende war Cosco der einzige Bieter. Gewonnen hat also ein Monopolist, der außer dem Preis eine Reihe zusätzlicher Bedingungen diktieren kann. Der Kauf verschafft den Chinesen die weitgehende Kontrolle über den größten griechischen Hafen, denn eine Cosco-Tochter betreibt schon seit 2008 zwei der drei Containerterminals von Piräus (der Pachtvertrag läuft über 35 Jahre).

Ein einziger Bieter für ein großes Stück Piräus

Die Cosco zahlt für ihre OLP-Anteile 368,5 Millionen Euro. Wie sich dieser Preis erklärt, bleibt völlig intransparent. Die griechische Privatisierungsbehörde Taiped hat nie enthüllt, welche Summe die Gutachterfirmen als „fairen Preis“ ermittelt haben. Dafür rechnet die Taiped den „Gesamtwert“ des Deals auf 1,5 Milliarden Euro hoch. Der enthält zum Beispiel die künftigen Gewinnabgaben an den griechischen Fiskus, die kein Mensch voraussagen kann, und die vereinbarten Investitionen von 350 Millionen Euro.

Diese Rechnung ist doppelt gezinkt. Denn die OLP bezog bisher von der Cosco-Tochter für deren zwei Containerterminals eine jährliche Pachtsumme von etwa 35 Millionen Euro. 67 Prozent dieser Gelder fließen künftig an den OLP-Mehrheitseigner, also von einer Cosco-Tasche in die andere. Dem griechischen Staat entgehen damit bis Ende der Pachtzeit mindestens 700 Millionen Euro, die vom „Gesamtwert“ der OLP-Privatisierung abzuziehen wären.

Noch dreister ist die Kalkulation der vereinbarten Investitionssumme: Sie enthält auch die 115 Millionen Euro an EU-Geldern für den Ausbau des Kreuzfahrtschiff-Anlegers in Piräus. Aber diese Summe wäre auch an eine rein staatliche OLP geflossen. Zudem ist die Realisierung der zugesagten Investitionen keineswegs garantiert: Eine Klausel im Kaufvertrag schützt die Cosco bei Verletzung ihrer Pflichten fünf Jahre lang vor jeglichen Sanktionen. [4]

Um den volkswirtschaftlichen Nutzen der OLP-Privatisierung anzupreisen, verweisen Athener Banken- und Börsenkreise gern auf die langfristigen Effekte, die von dem Cosco-Engagement ausgehen sollen: Der logistische Umschlagplatz, den die Chinesen für ihre europäischen Export errichten, werde für jährliche Einnahmen von 5 Milliarden Euro und 125 000 Arbeitsplätze sorgen. [5]

Solche vollmundigen Voraussagen basieren freilich auf ungesicherten Annahmen: zum einen, dass die Chinesen auch das griechische Eisenbahnnetz aufkaufen (für das sie sich in der Tat interessieren), zum anderen, dass der chinesische Exportboom in Richtung Europa ungebrochen anhält. Beide Annahmen werden in letzter Zeit zunehmend brüchig. Zudem stellt sich die Frage, ob es für Griechenland vorteilhaft ist, die Filetstücke seiner logistischen Infrastruktur in ein- und dieselben, nämlich chinesischen Hände zu geben.

Diese Frage gilt auch für eine weitere große Privatisierung, die bereits abgeschlossen ist. Das deutsche Unternehmen Fraport hat – zusammen mit einem griechischen Oligarchen [6] – für 40 (optional 50) Jahre die Lizenz zum Betreiben und Ausbau von14 griechischen Flughäfen erworben. Dafür zahlt das Konsortium einmalig 1,23 Milliarden Euro, hinzu kommt eine jährliche Pachtsumme und eine Gewinnabgabe, die dem griechischen Staat über 40 Jahre knapp 8 Milliarden Euro einbringen kann.

Allerdings können die Gegner des Projekts eine Gegenrechnung aufmachen. Schon heute erzielen die 14 Flughäfen hohe Gewinne, die sich bis Ende der Pachtzeit auf 5 Milliarden summieren würden. Fraport selbst kalkuliert, dass schon 2017 die Gesamterträge des Unternehmens „allein durch die griechischen Flughäfen [. . .] um gut 100 Millionen Euro“ zulegen werden.7 Langfristig rechnet man mit noch höheren Summen, insbesondere bei den Flughäfen von Touristeninseln wie Rhodos, Kos, Mykonos, Santorini und Korfu.

Wie dieser Deal zustande kam, ist eine Geschichte für sich. Bei der Vergabe der Pachtlizenzen waren bis zum Schluss drei Interessenten im Rennen, was für griechische Privatisierungsvorhaben die absolute Ausnahme ist. Hat sich das deutsche Unternehmen also nur „dank eines überzeugenden Angebots gegen starke Konkurrenz durchgesetzt“, wie Fraport-Chef Schulte behauptet hat?

Zwei Besonderheiten des Verfahrens stechen ins Auge. Zum einen die Ausschreibung des Pachtvertrags für die 14 hochprofitablen Flughäfen. Bis Anfang 2013 war noch ein anderes Verfahren geplant: Die 37 griechischen Flughäfen waren in zwei Gruppen aufgeteilt, die beide eine Mischung gewinnbringender und defizitärer Objekte enthielten. Man wollte also ein „Rosinenpicken“ verhindern und den Käufer zwingen, mit einem Teil seiner Gewinne defizitäre Flugplätze auf entfernteren Inseln zu subventionieren. Dieser Plan wurde auf Betreiben der Troika verworfen.

Ein glänzendes Geschäft für Frankfurt und Hessen

Es ist ein naheliegender Verdacht, dass diese Entscheidung auf die deutsche Regierung, die Zentralmacht innerhalb der Troika, zurückgeht. Dafür spricht auch eine zweite Besonderheit des Verfahrens: Die Taiped bestellte zum „technischen Berater“ der Ausschreibung die Lufthansa Consulting GmbH – die Tochter jenes Unternehmens, das direkt an Fraport beteiligt ist (mit 8,45 Prozent). Hier liegt ein schwerwiegender Interessenkonflikt vor, der allen Regeln des Anstands – und der Europäischen Union – für solche Auktionsverfahren zuwiderläuft.

Das monieren auch die Autoren der zitierten TNI-Studie, die auf einen weiteren wunden Punkt verweisen. Die Aktienmehrheit der Fraport AG gehört dem Bundesland Hessen und der Stadt Frankfurt (zusammen 51,35 Prozent). Damit fließt ein Großteil der Gewinne aus den profitabelsten griechischen Flughäfen 40 Jahre lang in öffentliche Haushalte des Gläubigerlands Deutschland. Umgekehrt verliert der griechische Staat eine langfristige Einnahmequelle, die für die Stabilisierung der öffentlichen Finanzen viel wichtiger wäre als einmalige Privatisierungserlöse, die in die kurzfristige Schuldentilgung fließen.

Die Strategie der Fraport basiert nicht nur auf steigenden Passagierzahlen. Um „recht zügig zusätzliche Umsätze zu generieren“, setzt Finanzchef Matthias Zieschang auf eine „deutliche Vergrößerung und Optimierung der Handelsflächen“. Wie optimal die Bedingungen für den Pächter sind, ist im Kleingedruckten des Übernahmevertrags nachzulesen. So kann die Fraport auf ihren Flughäfen allen alten Vertragspartnern und Mietern kündigen und neue Lizenzen vergeben, muss aber die hinausgeworfenen Firmen, Geschäfte oder Restaurants nicht entschädigen. Die Vertragsstrafen hat der griechische Staat zu zahlen.

Und nicht nur das. Die Griechen müssen auch Angestellte abfinden, die von der Fraport entlassen werden; sie müssen die Opfer von Arbeitsunfällen entschädigen, die auf Versäumnisse „eines der Vertragspartner“ zurückgehen; sie müssen die Umweltgutachten finanzieren, die bei der Erweiterung eines Flughafens nötig werden. Ja, sie müssen sogar zahlen, wenn Ausbauarbeiten sich wegen archäologischer Funde verzögern. [8]

Die kleingedruckte Abwälzung der Kosten auf den bankrotten griechischen Staat ist nicht nur bodenlos zynisch, sie spricht auch den Prinzipien Hohn, die von der EU-Kommission selbst verkündet werden. „Die Privatisierung öffentlicher Unternehmen“, erklärte die Brüsseler Kommission im Oktober 2012, „trägt zur Reduzierung von Subventionen, anderen Transferleistungen oder Staatsgarantien für öffentliche Unternehmen bei . . .“ [9]

Im Fall Fraport gilt das Gegenteil: Der Pächter der 14 Flughäfen hat Anspruch auf umfangreiche Subventionen, Transferleistungen und Garantien des griechischen Staats. Und natürlich ist er von allen finanziellen Belastungen befreit, einschließlich Immobilien- und Gemeindesteuern.

Der griechische Seite wiederum hat bei Entscheidungen, die ein wichtiger Parameter für den wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes sind, nicht mehr mitzureden. Zum Beispiel bei den Landegebühren, die für die touristische Entwicklung einer Insel entscheidend sein können. Die Verteidiger des Fraport-Deals machen geltend, dass die Sanierung von maroden und kundenfeindlichen Flughäfen – etwa auf Korfu und Santorini – ohne ausländische Investitionen nicht zu finanzieren ist. Das stimmt und gilt unter den heutigen Bedingungen für die griechische Wirtschaft insgesamt.

Aber dann stellt sich die Frage, warum es nicht möglich sein soll, die griechischen Inselflughäfen mithilfe von Krediten der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu modernisieren. Das würde im Übrigen auch eine neutrale Fachaufsicht über die Planung und Kosteneffizienz des Programms garantieren. Solche produktiven Investitionen würden dem griechischen Staat sichere und wachsende Einnahmen verschaffen – statt der deutschen Fraport und einem griechischen Oligarchien die Bilanz zu sanieren.

Im Sinne einer nachhaltigen Stabilisierung der Staatsfinanzen ist der Fraport-Deal also die schlechteste aller Optionen. Das gilt für die meisten Privatisierungsvorhaben, die in Griechenland unter Krisenbedingungen durchgezogen wurden oder noch bevorstehen – mit Ausnahme der Veräußerung staatlicher Immobilien, die von privaten Investoren einer sinnvollen Nutzung zugeführt werden.

Das heißt keineswegs, die Konservierung des alten Zustands zu rechtfertigen. Die beste Lösung wäre vielmehr ein dritter Weg zwischen Privatisierung und Klientelwirtschaft. Die meisten öffentlichen Unternehmen Griechenlands bedürfen tatsächlich einer radikalen Reform, die mit Strukturen aufräumt, von denen stets nur eine privilegierte Klientel der politischen Klasse profitiert hat. Wer dem Land wirklich helfen will, sollte den Aufbau effizienter und sparsamer Dienstleister ermöglichen, die den Anspruch, dem „öffentlichen Interesse“ zu dienen, gegenüber Kunden wie Steuerzahlern endlich einlösen würden.

 

Eine detailliertere Fassung dieses Artikels ist zu lesen unter: „Nachdenken über Griechenland“, Niels Kadritzkes neuem Blog auf Le Monde Diplomatique (DE).

 

Notes