In der stark industrialisierten Tschechoslowakei war die demokratische Revolution von 1989 auch eine Umweltrevolution, die in den 1990er-Jahren nach dem Ende des Kommunismus zu bedeutenden Ergebnissen geführt hat. In der heutigen Tschechischen Republik ist dieser grüne Elan jedoch verpufft: Das Land gehört zu den kohlenstoffintensivsten in der EU und dazu kommt, dass die Oligarchen aus der fossilen Energiewirtschaft den Großteil der Medien kontrollieren. Doch manchmal kommt der Wandel vielleicht, wenn man ihn am wenigsten erwartet. 

Es gibt wohl kein besseres Beispiel für die Widersprüche des Landes als die Debatte über die Klimakrise. Die tschechische Wirtschaft ist eine der kohlenstoffintensivsten in der Europäischen Union, und die Pro-Kopf-Emissionen des Landes liegen weit über dem europäischen Durchschnitt. Doch die Tschechen scheinen sich weder der Dringlichkeit des Themas noch ihrer besonderen Verantwortung als einer der weltweit größten Verschmutzer bewusst zu sein, jedenfalls spiegelt die öffentliche Debatte das nicht wider.  

Die tschechische Regierung hat Umweltpolitik stets vernachlässigt. Dafür gibt es viele Beispiele. Eines der aufschlussreichsten ist der geringe Ausbau erneuerbarer Energiequellen und die fehlende Verpflichtung zur Kohlenstoffneutralität bis zu einem konkreten Datum. Im Allgemeinen kommt die tschechische Klimapolitik nur unter dem Druck der Europäischen Union voran. Würden die europäischen Institutionen sie nicht fördern, gäbe es in dem Land höchstwahrscheinlich gar keine richtige Klimapolitik. 

Dies war nicht immer der Fall. Der katastrophale Zustand der Umwelt war einer der Hauptgründe für die Delegitimierung des kommunistischen Regimes vor dessen Sturz im November 1989. In der Tat waren grüne Gruppen ein wesentlicher Bestandteil der Bewegungen, die die kommunistischen Regime im gesamten Sowjetblock zu Fall brachten. Tschechien bildet dabei keine Ausnahme. 

Der katastrophale Zustand der Umwelt war einer der Hauptgründe für die Delegitimierung des kommunistischen Regimes vor dessen Sturz im November 1989.

Nach der Samtenen Revolution wurden viele Umweltschützer Mitglieder der neuen Regierungen und ihre Errungenschaften, wie zum Beispiel die Verringerung der Luftverschmutzung durch die Festlegung von Grenzwerten für den Kohleabbau und die Verbesserung des Naturschutzes, gehören zu den unbestrittenen Erfolgen nach 1989. Die tschechoslowakische Revolution von 1989 war nicht nur “samtig”, sondern auch grün. 

Von wenigen Ausnahmen abgesehen, ließ das Interesse der tschechischen Gesellschaft an der Umwelt unter den neuen demokratischen Bedingungen jedoch allmählich nach. Heute herrscht weitgehende Ignoranz gegenüber der Klimakrise.  

Was sind die Gründe für diese Entwicklung? 

Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Wir können jedoch einige Schlüsselthemen in der Debatte über die Klimakrise ausmachen und daraus Thesen ableiten. 

Produktivismus um jeden Preis  

In der tschechischen Klimadebatte wird traditionell die Produktivkraft des Landes betont. Viele Politiker fördern große Infrastrukturprojekte wie Autobahnen, Kernkraftwerke, Bergwerke oder Autofabriken. Dies hat eine lange Tradition, die bis in die Zeit unmittelbar nach der industriellen Revolution zurückreicht, als das österreichische Kaiserreich beschloss, einen Großteil seiner Schwerindustrie in die tschechische “Peripherie” zu verlagern. 

Die Förderung der Schwerindustrie war auch eine der obersten Prioritäten des kommunistischen Regimes. Die Tschechoslowakei wurde zuweilen als “Schmiede des Sozialismus” bezeichnet, weil viele überwiegend schwerindustrielle Betriebe des Landes strategische Güter und Konsumgütern für den gesamten ehemaligen Sowjetblock produzierten. Die kommunistischen Machthaber hatten eine Vorliebe für lange Listen mit Statistiken über die Anzahl der in der Tschechoslowakei produzierten Autos und Kühlschränke, der geförderten Rohstoffe und gebauten Wohnungen. Und diese Vorliebe endete nicht mit dem Sturz der Kommunistischen Partei. 

Die neoliberale Wende der 1990er-Jahre versprach, das Land aus der sozialistischen “Rückständigkeit” herauszuführen und zu den westlichen Volkswirtschaften aufzuschließen. Fast drei Jahrzehnte nach der Verkündung dieses Ziels kann man das Ergebnis jedoch als ein spektakuläres Fiasko bezeichnen. Gemessen an den meisten rein wirtschaftlichen Indikatoren erreicht die tschechische Wirtschaft bei weitem nicht die Leistungsfähigkeit westlicher Volkswirtschaften. Außerdem ist das Einkommensgefälle zwischen der Tschechischen Republik und den meisten westeuropäischen Ländern immer noch ungefähr so groß wie vor dreißig Jahren. Das hindert jedoch keinen Premierminister daran, immer wieder zu versprechen, “den Westen einzuholen”, und der derzeitige Premier Petr Fiala von der konservativen Partei ODS ist da keine Ausnahme. 

Seine Vision, die er kürzlich auf einer Konferenz der mächtigsten Unternehmen des Landes vorstellte, besteht darin, massiv in die Infrastruktur zu investieren, etwa in den Bau neuer Autobahnen oder neuer Kernreaktoren im Kraftwerk Dukovany. Gleichzeitig will er die öffentlichen Ausgaben kürzen. 

Wichtige grüne Projekte wie Windparks oder die Unterstützung von kommunalen Energiesystemen sind ebenfalls Teil seiner Zukunftsvision, jedoch nur, um eine “modernere” und produktivere Wirtschaft aufzubauen. Die Tschechische Republik soll “ein Land sein, in dem es sich lohnt, zu leben, zu investieren, in den Urlaub zu fahren oder zu studieren”, sagte Fiala auf der Konferenz. Das klingt schön, ist aber ein Trugschluss. 

Denn tatsächlich erlebt das Land eine Abwanderung seiner besten Köpfe, da viele der talentiertesten jungen Menschen sich für ein Leben in privilegierteren Teilen Europas entscheiden. Und die Sparpolitik, die die Etats für Bildung, Gesundheit, Kultur und andere Bereiche, die für eine gute Lebensqualität unerlässlich sind, ausgehöhlt hat, verschärft diesen Trend. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass die rechtsextreme Opposition jetzt die Früchte dieser kurzsichtigen Sparpolitik erntet. Das wahrscheinlichste Szenario ist, dass Tschechien nach den Wahlen in zwei Jahren den gleichen Weg wie die Slowakei und Ungarn einschlagen wird. 

Technokraten und Oligarchen sollen die Klimakrise lösen 

Die Fokussierung auf die Steigerung der Produktivität hat zur Folge, dass die politische Debatte über wichtige Fragen auf ein Minimum reduziert wird. Politiker müssen keine politischen Visionen haben, sondern brauchen nur die Wirtschaft weiter anzukurbeln. Mit anderen Worten: Die beliebtesten Politiker sind Experten mit technokratischem Hintergrund, die schon “wissen, wie die Dinge funktionieren”. 

Die Fokussierung auf die Steigerung der Produktivität hat zur Folge, dass die politische Debatte über wichtige Fragen auf ein Minimum reduziert wird.

Technokraten sind in der Tschechischen Republik seit langem einflussreich und “Experten” werden traditionell als diejenigen angesehen, die man braucht, wenn man eine Lösung sucht. Diese Haltung ist in der tschechischen Politik und Kultur vielleicht stärker ausgeprägt als anderswo; die Tschechen werden nicht umsonst als “Nation der Ingenieure” bezeichnet. 

Das beste Beispiel dafür ist die völlig irrationale Beziehung der Politik zur Kernenergie, die ihre Wurzeln in der kommunistischen Ära hat, als die Idee geboren wurde, in jeder größeren Region der Tschechoslowakei ein Kernkraftwerk zu bauen – zehn insgesamt, wobei für die meisten die Standorte bereits feststanden. Glücklicherweise wurden nur zwei fertiggestellt; die beiden anderen – eines in der Slowakei und eines in Südböhmen – befanden sich zum Zeitpunkt der Samtenen Revolution noch im Bau. Beide wurden – mit massiven Verzögerungen und Kostenüberschreitungen – nach erbitterten Kämpfen und Protesten dagegen jedoch fertiggestellt. 

Heute werben die gleichen Technokraten und die Atomlobby, die in der Zeit zwischen 1990 und 2010 die Interessen der Unternehmen durchgesetzt haben, für  Kernenergie unter dem Vorwand, dass sie ein Teil der Lösung für die Klimakrise sei. Natürlich ist diese Idee längst widerlegt, aber das Bestreben, mehr Kernkraftwerke zu bauen, war noch nie vernünftig. 

Aber rationale Argumente sind in der aktuellen öffentlichen Debatte nicht gefragt, vor allem nicht, wenn es um Klimapolitik geht. Die Diskussion über dieses Thema wird stark von den Medien beeinflusst, die wiederum von Oligarchen, dem Großkapital und ihren Unternehmen kontrolliert werden. Der tschechische Oligarch Daniel Křetínský zum Beispiel, der in großem Umfang in Kohleminen, Kohle- und Gaskraftwerke und andere fossile Infrastrukturen investiert, ist Eigentümer von Medienhäusern, Zeitungen und zudem der zweitgrößte Verleger des Landes.  

Der größte Verleger ist ein anderer Oligarch: der ehemalige Premierminister Andrej Babiš, der derzeit in Verhandlungen über den Verkauf seines Medienunternehmens Mafra steht, wahrscheinlich an eine andere tschechische Oligarchengruppe. Bevor das Geschäft abgeschlossen wird, möchte er offenbar sicherstellen, dass die redaktionelle Linie des Hauses weiterhin seinen Interessen dient. Křetínský kontrolliert eine der größten tschechischen Boulevardzeitungen, Blesk, die einflussreiche Wochenzeitung Reflex und mehrere Radiosender. Darüber hinaus gehören eine der größten liberalen Zeitschriften, die Wochenzeitung Respekt und die Tageszeitung Hospodářské Noviny, die größte tschechische Wirtschaftszeitung, dem ehemaligen Bergwerkseigentümer Zdeněk Bakala. 

Sie alle haben ein Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo, der auf großen privaten Energieerzeugern fußt, vor allem auf Atom-, Kohle- oder Gaskraftwerken, die von Daniel Křetínskýs Unternehmen EPH, dem Unternehmen Sev.en des Oligarchen Pavel Tykač und dem staatlichen Unternehmen ČEZ betrieben werden. Chancen für kleinere Unternehmen und neue Modelle der Energieerzeugung auf Grundlage nachhaltiger Ressourcen und einer Verteilung der Eigentumsrechte auf verschiedene Gemeinschaften und Genossenschaften gibt es praktisch keine und sie kommen auch nicht vor in der Debatte über den Klimawandel

Konservative und übervorsichtige Klimawissenschafter 

Das dritte Merkmal der hiesigen Klimadebatte ist die besondere Rolle der tschechischen Klimaexperten. Also diejenigen, die in den Medien regelmäßig als “Experten” zu Wort kommen und dabei darauf bedacht sind, nicht als “zu radikal” zu gelten, weshalb sie die erschreckenden Fakten über den Zustand des Klimas oft nicht wahrheitsgemäß darstellen. Sie weichen Fakten aus und spielen den Zusammenhang zwischen extremen Wetterereignissen und Klimaveränderungen herunter. Radim Tolasz, ein von den Mainstream-Medien bevorzugter Experte, ist dafür bekannt, lieber vor “Klima-Extremismus” und “grünen Radikalen” zu warnen als vor der Gefahr fossiler Brennstoffe

Eine weiterer viel zitierter Experte ist Radan Huth, Leiter des Klimaforschungszentrums an der Tschechischen Akademie der Wissenschaften. Er ist ein aktives Mitglied der rechtskonservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS), die den Klimawandel seit langem leugnet – eine regelrechte Tradition. Huth ist jedoch kein “klassischer” Klimaleugner. Er räumt ein, dass es eine vom Menschen verursachte Erderwärmung gibt, betont aber immer wieder, dass die derzeitige Klimapolitik den Klimawandel nicht aufhalten kann und dass die Lösung im wissenschaftlichen und technologischen Fortschritt sowie in der Anpassung an extreme Wetterbedingungen liegt. 

Huths Argumente stellen also den Verbrauch fossiler Brennstoffe nicht infrage. In der Auseinandersetzung mit der Klimakrise gibt es in Tschechien keine Wissenschaftler mit einer angemessenen Einstellung zu diesem Thema, keinen Johan Rockström oder James Hansen, die eine radikale und schnellstmögliche Senkung der Emissionen fordern und ausdrücklich vor der fossilen Brennstoffindustrie warnen. 

Eine neue grüne Klasse wird gebraucht 

Welche Lehren können auf europäischer und globaler Ebene aus den Versäumnissen dieser medialen Aufklärung gezogen werden? Fest steht, dass die Tschechen genau wie die Europäische Union einen weitreichenden wirtschaftlichen Wandel brauchen, wenn wir unsere Klimaverpflichtungen einhalten wollen. Dies kann jedoch nicht ohne eine kritische Masse geschehen, die ein persönliches Interesse an diesem Wandel hat. Eine grüne Transformation ist unmöglich, wenn Oligarchen den Großteil der Energiewirtschaft und der Medienhäuser kontrollieren und es keine eindeutige Klimawissenschaft gibt, wie es in der Tschechischen Republik der Fall ist. 

Das tschechische Beispiel zeigt auch, dass Probleme wie soziale Ungerechtigkeit, die Schwächung der Demokratie und die ökologische Verwüstung miteinander verknüpft sind und nicht gelöst werden können, wenn sie nicht gleichzeitig angegangen werden. Der erste Schritt besteht darin, die Interessen der fossilen Energieträger aus allen Verhandlungen über die Energiewende und die künftige Energiepolitik herauszuhalten. Dies ist jedoch einer der Bereiche, in denen die Europäische Union beim Schutz der Bürgerinteressen kläglich versagt. 

Aber es gibt auch Fortschritte. In den letzten Jahren sind in der tschechischen Klimabewegung neue Initiativen und Organisationen wie Re-set oder Limity jsme entstanden. Sie setzen sich für nachhaltige Energiesysteme ein, die sich im Besitz lokaler Gemeinschaften, Genossenschaften oder Gemeinden befinden, und arbeiten unermüdlich an dem dringend notwendigen Wandel hin zu einer grünen, gerechten und wirklich demokratischen Gesellschaft. Sie sind ein kleiner, aber wachsender Teil der globalen Bewegung, die die Klimakatastrophe vielleicht noch abwenden kann. 

Der Weg in eine bessere Zukunft darin besteht, eine Bewegung aufzubauen, die sich den Interessen der fossilen Energiekonzerne und Oligarchen widersetzt, könnte in kaum einem anderen Land deutlicher gemacht werden.

Die Tatsache, dass der Weg in eine bessere Zukunft darin besteht, eine Bewegung aufzubauen, die sich den Interessen der fossilen Energiekonzerne und Oligarchen widersetzt, könnte in kaum einem anderen Land deutlicher gemacht werden. Die Tschechische Republik ist eine Art Versuchslabor, in dem getestet werden kann, welche Zukunft wir einschlagen wollen. Eine, die von ausbeuterischen Oligarchen und Konzernen geführt wird, die auf eine autoritäre Herrschaft und eine Katastrophe zusteuern oder eine grüne soziale Zukunft, in der partizipative Demokratie möglich ist?  

Die Zeit für einen Wandel des politischen und wirtschaftlichen Systems in der Größenordnung der Samtenen Revolutionen wäre jedenfalls reif. Das Interessante an diesem Vergleich ist, dass dabei die gleichen Ziele angesteuert werden sollten wie damals im Jahr 1989: den Aufbau einer gerechten, grünen und wirklich demokratischen Gesellschaft. Die Tatsache, dass fast niemand die Revolutionen von 1989 kurz vor ihrem Ausbruch kommen sah, lässt vielleicht etwas Hoffnung auf einen weiteren Neuanfang aufkommen. 

Dieser Artikel ist Teil einer Serie über den Klimadiskurs in den europäischen Medien. Ein Projekt, das von der Green European Foundation mit Unterstützung des Europäischen Parlaments und in Zusammenarbeit mit Voxeurop und dem Green European Journal entstanden ist.