Deutschland zögert politisches Neuland zu betreten. Die Jamaika-Sondierungsgespräche zwischen CDU/CSU, FDP und Grüne sind gescheitert. Der Weg nach vorne ist unklar und viele Optionen werden ins Spiel gebracht, von einer Neuauflage der GroKo und einer Minderheitsregierung bis zu einer Kenia-Koalition (CDU/CSU, SPD und Grüne) und Neuwahlen. Wir konnten unser Gespräch mit Reinhard Bütikofer, dem Vorsitzenden der Europäischen Grünen Partei und Sondierungsmitglied der Grünen, fortführen und aus erster Hand erfahren, warum die Jamaika-Gespräche scheiterten und wie es weitergehen soll.

Roderick Kefferpütz: Jamaika ist zu Ende, bevor es anfangen konnte. Die FDP hat die Sondierungsgespräche platzen lassen. Woran lag es? Was ist geschehen? 

Reinhard Bütikofer: Die FDP ist ausgestiegen, weil sie Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen hatte. Im Wahlkampf inszenierte sich die FDP erfolgreich als neue FDP. Eine FDP mit einem pfiffigen Wahlkampf und einem jungen Vorsitzenden, welche den Eindruck vermittelte, man könne ihr vertrauen, denn sie gehöre nicht zum establishment. Das hat für die FDP funktioniert. Aber genau dieses Profil hätte sie in einer Regierung aufgeben müssen. Man kann nicht in der Regierung sitzen, Finanzminister sein und so tun als gehöre man nicht zum establishment. Die Sparte zu wechseln in‘s ernste Fach erschien der FDP offenbar als zu riskant. Sie hat nicht an ihrem Erfolg in einer möglichen Regierung geglaubt, was auch am mangelndem inhaltlichem Profil lag.

Im Zentrum stand wie bei der FDP lange üblich die Forderung nach Steuersenkungen. In zahlreichen anderen Bereichen, wie bei der Bildungspolitik oder der Digitalisierung, konnte sie nicht so glänzen, wie sie vielleicht gehofft hatte.

Sie hatte also kein inhaltliches Alleinstellungsmerkmal

Sie hatte den Soli und den Soli und den Soli und, was in der Tat neu war, eine Abkehr von ihrer traditionell pro-europäischen Haltung. Die alte FDP war eine sehr pro-europäische Partei. Das ist vorbei. Wir werden jetzt eine FDP haben, die sich darauf spezialisiert Empörungspotentiale zu mobilisieren, mit der Absicht die deutschnationale Wählerschicht zu gewinnen. Wieviele Mitglieder der FDP diesen Kurs eigentlich wirklich wollen, das ist unklar.

Das klingt so, als wären die Sondierungen auch eine Art reality-check für die FDP gewesen. Wie habt ihr Grüne den Ausstieg der FDP erlebt?

Ich glaube erst im Verlauf der Sondierungen ist Christian Lindner klar geworden, dass er lieber nicht in die Regierung geht. Er wollte das aber verstecken und hoffte die CDU und wir würden uns so zerstreiten, dass Jamaika daran scheitern würde. Am Sonntagvormittag versuchte die FDP die CDU und CSU zu überreden, gemeinsam mit ihnen auszusteigen. Die haben sich aber nicht darauf eingelassen.

Wir haben denen das Aussteigen nicht leicht gemacht. Auf den letzten Metern sind wir mit einigen Kompromissen der FDP entgegen gekommen. Wir haben immer wieder versucht Brücken zu bauen. Bei bestimmten Fragen zur Wirtschafts- und Währungsunion habe ich bestimmt 40-50 verschiedene Formulierungsvorschläge gemacht. Es gab genug Signale für ein Zusammenkommen von unserer Seite.

Wie sahen eure Kompromissangebote denn aus?

Praktisches Beispiel: Die FDP will den Soli abschaffen. Dieser ist im Jahr 20 Milliarden Euro wert. Also fast 80 Milliarden für eine ganze Legislatur. Der ganze finanzielle Spielraum der Koalition über diese 4 Jahre war allerdings ungefär 55 Mrd. Und dann wollte die FDP nicht nur den Soli abschaffen, sondern, wie wir auch, 10 Milliarden in die Digitalisierung investieren, Bildungs- und Forschungsinvestitionen erhöhen, und so weiter. Es gab eine ganze Reihe von gemeinsamen Anliegen, die aber ein Haufen Geld gekostet hätten. Da geht die Rechnung einfach nicht auf. Du kannst nicht gleichzeitig den Soli total abschaffen, Investitionen erhöhen und einen ausgeglichenen Haushalt behalten. Das geht nach Adam Riese nicht.

Dann war am Schluss der Vorschlag, dass man in den Soli-Abbau einsteigt mit 10 oder 12 Milliarden. Am Schluss war sogar mal von 14 Milliarden Euro die Rede. Das hätte bedeutet, dass 75% der Leute die heute den Soli zahlen, ihn nicht mehr hätten zahlen müssen und der Rest wäre dann in der nächsten Legislatur auch abgebaut worden.

Wie war es denn beim Thema Migration und Flüchtlinge. Das ist ja der Bereich, wo Du gesagt hattest, da könnt ihr nicht gewinnen, wollt aber auch nicht verlieren.

Da waren wir bereit, Schritte zur Union zu machen. Wir haben uns verständigt eine Sprache zu wählen, in der die Zahl von 200.000 vorkam. Also die Zahl wäre im Text gewesen, aber nicht als Obergrenze. Darauf hätten wir uns nicht eingelassen. Beim Familiennachzug wollten wir nicht nachgeben. Die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Geschützte läuft im März aus. Wenn eine Mehrheit im Bundestag dies nicht verlängert, dann wird der Zustand wieder hergestellt, dass die subsidiär Geschützten ihre Familiengehörige nachholen können. Die Union hat versucht, ihn nochmals für ein Jahr auszusetzen. Als dann die CSU anfing zu signalisieren, dass sie uns ernst nimmt und wir eine Regelung finden könnten, drohte Lindner Seehofer, er würde ihn von rechts angreifen. Er forderte die Aussetzung des Familiennachzugs für weitere zwei Jahre.

Wie geht es denn jetzt weiter?

Ich glaube nicht, dass wir nochmal ins Spiel kommen bei Jamaika. Dafür hat die FDP die Tür zu laut zugeschlagen. Auch eine schwarz-grüne Minderheitsregierung sehe ich nicht kommen.

Wir sollten uns jetzt drum kümmern, dass das, was wir in diesen schwierigen Sondierungen erreichen konnten, nicht einfach wieder unter dem Tisch fällt. Die SPD sollte nutzen, was wir schon erkämpft haben und es sich nicht nochmal verkaufen lassen, sondern drauf aufbauen. Was wir erreicht haben, muss zum Maßstab werden.

Und wie geht es weiter mit Europa? Weiter warten auf Deutschland?

Die Irrungen und Wirrungen der deutschen Koalitionsbildung dürfen nicht zur Blockade in der europäischen Politik werden. Das müssen wir verhindern. Deswegen sollten wir eine Initiative im deutschen Bundestag ergreifen, die versucht, unter Einbezug aller die sich zum europäischen Projekt bekennen, eine Antwort auf Macron und Juncker zu geben zu den verschiedenen europäischen Themen. Egal ob wir eine geschäftsführende Regierung haben, eine Minderheitsregierung oder eine große Koalition, wir müssen klar machen, dass Berlin handlungsfähig ist. Wir haben nur ein kleines Zeitfenster. Wenn wir warten bis erst eine Regierung steht, ist vielleicht die Zeit schon rum.

Und drittens: wir müssen uns jetzt aktiv in die Gesellschaft einbringen. Es gibt viele Leute die enttäuscht sind und einen ernsthaften Akteur suchen. Wir dürfen jetzt keine Nabelschau betreiben und uns nach innen richten, sondern müssen rausgehen, in die Gesellschaft und versuchen Allianzen für einen gesellschaftlichen Aufbruch zu organisieren.