Tim Jackson hat sein 2009 erschienenes Buch „Wohlstand ohne Wachstum“ vollkommen überarbeitet. Das Update ist ein ambitioniertes Unterfangen, die Wirtschaftswissenschaften neu zu denken. Das Update von „Wohlstand ohne Wachstum“ ist fast ein neues Buch. Tim Jackson stellt sich ausdrücklich den aktuellen wissenschaftlichen und politischen Herausforderungen und versucht, die ökologische und soziale Frage zusammenzudenken.

Nicht auf Kosten von anderen wirtschaften

Dies beinhaltet die Einsicht, dass das erfolgreiche Wohlstandsmodell der vergangenen 200 Jahre grundlegend verändert werden muss. Es braucht eine sozialökologische Transformation, damit alle Menschen ein gelungenes Leben führen können: eine Stadt der kurzen Wege ist eine Lebensweise für sieben Milliarden Menschen, Mercedes für alle nicht. Der sozialökologische Ansatz wird deutlich herausgearbeitet als 2009. So nimmt die Beschäftigung mit Ungleichheit und Armut einen zentralen Platz ein, wobei Jackson letztere nicht – ganz im Sinne von Adam Smith – vorrangig als materiellen Mangel versteht, sondern als Unvermögen, „to appear in public without shame“. Armut bedeutet Beziehungsstörung; Wohlstand und Wohlbefinden basieren auf gelungenen Beziehungen, die zu einem erfüllten Leben führen. Dieses bis auf Aristoteles rückführbare Verständnis von gutem Leben prägt das abendländische Denken. Jedoch beschränkt sich bis heute die Möglichkeit, ein gutes Leben zu führen, auf einige – im Weltmaßstab eine Minderheit. In diesem Sinne ist „Wohlstand ohne Wachstum“ ein Beitrag zu einer Wirtschaftswissenschaft, die nach Formen des Wirtschaftens und Lebens sucht, in der Wohlstand nicht auf Kosten anderer erzielt wird.

Tim Jackson ist sich bewusst, dass es sich hierbei um eine Transformation, eine grundlegende Veränderung sozialer Formen, handelt. Es gehört zu den großen Stärken des Buches, zentrale Mechanismen zu thematisieren, die für die aktuelle Wirtschaftsweise konstitutiv sind. Drei dieser Mechanismen möchte ich herausgreifen, da diese für eine neue Wirtschaftswissenschaft im Dienste eines guten Lebens für alle bedeutsam sind.

Zerstörung durch Wachstum

Zum ersten dreht sich das Buch um den Wachstumszwang und die damit verbundenen destruktiven Dynamiken. Dies wird anhand vieler Beispiele beschrieben und die Notwendigkeit einer Abkehr von der Logik des Mehr und Schneller aufgezeigt. Deutlicher als in der ersten Fassung arbeitet Jackson das Wachstumsdilemma heraus, wonach Wachstum nicht nachhaltig und „Degrowth“ instabil ist. Es braucht einen gewissen materiellen Wohlstand als Grundlage eines guten Lebens. In vielen Teilen des Globalen Südens sind daher weiterhin materielle Verbesserungen anzustreben. Aber auch in den europäischen Ländern ist Schrumpfen – wie am Beispiel Griechenland nachvollziehbar – destruktiv, solange die Dynamiken des Systems nicht verändert werden. Gefragt ist eine Abkehr von einem materiellen, einzig an Geld, d.h. Tauschwerten, orientierten Verständnis von Fortschritt. Doch dem steht ein struktureller Zwang zur Konkurrenz entgegen, der zu ständigem Wettbewerb um Verbesserungen und Extraprofite antreibt – nicht, weil die Einzelnen maßlos sind, wohl aber, weil Stillstand zum Untergang führen kann. Wachstumszwang ist nämlich – und diese Einsicht spricht Jackson nicht ausdrücklich aus – Konkurrenzzwang. Überwindung des Wachstumszwangs heißt auch die Suche nach einem neuen Gleichgewicht von Konkurrenz und Kooperation.
Zweitens widmet sich Tim Jackson dem Konsumismus als zentralem Motor einer verschwenderischen, nicht-nachhaltigen Wirtschaftsweise. Er beschreibt die materiellen und psychologischen Folgen eines verengten Verständnisses von Bedürfnisbefriedigung. So befördert Konsumismus als soziale Form die Illusion, Bedürfnisse ließen sich vorrangig durch den Erwerb von Waren befriedigen. Karl Marx hat dies den Warenfetischismus genannt: Kaufen macht glücklich, Rauchen vermittelt Freiheit und Autofahren lasst Natur erfahren. Dem stellt Jackson die Bedeutung von Dienstleistungen und insbesondere Infrastrukturen gegenüber. Infrastrukturen sind das Rückgrat des Wirtschaftens; sie strukturieren die Möglichkeiten, wie Menschen wohnen, sich bewegen, essen und ihre Freizeit verbringen: Wenn es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt, wird die Autonutzung alternativlos.

Große Veränderungen in kleinen Schritten

Der wirtschaftswissenschaftliche Fokus auf die Qualität von Infrastrukturen bietet konkrete Anknüpfungspunkte für die Wirtschaftspolitik. Hier könnte Jacksons Ansatz an Kraft gewinnen, wenn die alten, aus der politischen Ökonomie kommenden Konzepte von Tausch- und Gebrauchswert wieder aufgegriffen werden. Diese ermöglichen, Quantität und Qualität des Wirtschaftens zu unterscheiden; monetäre Kosten und reale Nutzung von Natur unter Einsatz von konkreter Arbeit gleichermaßen zu erfassen. Die konkrete Form der Infrastruktur ist dann nicht Ergebnis von Angebot und Nachfrage, sondern ist zentrales Feld demokratischer und kultureller Auseinandersetzung über die Art der Gesellschaft, in der wir leben wollen. Im Sinne einer gerechten und resilienten sozial-ökologischen Transformation ginge es insbesondere um den Rückbau der fossilen Infrastruktur, allen voran für den Flug- und Autoverkehr, und den Aufbau einer sozialökologischen Infrastruktur, basierend auf öffentlichem Verkehr, öffentlichen Räumen, Energieversorgung auf Basis erneuerbarer Energieträger, Bildungs-, Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Dies zu erkennen ermöglicht staatlichen, aber auch zivilgesellschaftlichen Akteuren, kleine Reformschritte zu setzen, ohne den großen systemverändernden Anspruch aufzugeben.

Politik muss keine Beute der Unternehmen sein

Drittens versucht Jackson, die Rolle von Politik und Macht in seine Analyse zu integrieren. Ein eigenes Kapitel – „der progressive Staat“ – widmet sich politischem Handeln. Jackson sucht nach Wegen, wie Wirtschaftspolitik wirksam wird und Staaten nicht einfach Beute unternehmerischer Interessen werden. Damit reflektiert er die Erfahrungen aus der Finanzkrise und wie es einflussreichen Gruppen – allen voran dem Finanzkapital und der Autoindustrie – gelungen ist, staatliches Handeln und öffentliche Ressourcen für die eigenen Interessen und gegen das Allgemeinwohl zu mobilisieren. Bankenrettungen einerseits, Steueroasen für Großkonzerne andererseits. So richtig die Intention, so unscharf bleiben Konzepte und Analyse bei Jackson. Dies liegt an einem Missverständnis über das Wesen kapitalistischer Marktwirtschaften, in denen Markt und Staat nicht als Gegensätze, sondern als Einheit verstanden werden müssen. Nicht nur Karl Polanyi, auch Friedrich Hayek, Vordenker der Neoliberalen, war bewusst, dass es einen starken Staat braucht, um eine Marktwirtschaft zu stabilisieren. Während Polanyi fürchtete, Kapitalismus und übermäßige wirtschaftliche Machtkonzentration würden Demokratie untergraben, sieht Hayek in einer unbeschränkten Demokratie die größte Gefahr für Freiheit und Marktwirtschaft.

Staat ist wandelbar

Der Staat, so wie er heute funktioniert und strukturiert ist, ist historisch geworden und daher veränderbar. Eine Wirtschaftswissenschaft, die zu einer Zivilisation beitragen will, in der nicht einige auf Kosten anderer gut leben, sondern in einem Gemeinwesen, das allen substanzielle Verwirklichungschancen eröffnet, muss sich auch mit der Transformation von Staatlichkeit und politischem Handeln beschäftigten. Es braucht staatliche Institutionen, in denen nicht länger der „Drehtüreffekt“ den Staat zum Handlager von Wirtschaftsinteressen macht: heute Zentralbank, morgen Goldman Sachs; heute Regulierungsbehörde, morgen Energiekonzern. Vielmehr geht es um neue Formen öffentlicher Institutionen, die transparent und offen für Beteiligung sind, die dezentral organisiert sind und daher unterschiedliche Kontexte berücksichtigen können. Eine derartige partizipative Demokratie ermächtigt die BewohnerInnen, macht sie zu BürgerInnen, die sich öffentliche Institutionen aneignen und das Gemeinwohl in die eigenen Hände nehmen. Im Energie- aber auch im Ernährungsbereich gibt es diesbezüglich spannende Experimente, aus denen gelernt werden kann.

Leben und Arbeiten gerechter organisieren

Tim Jackson treibt mit dem Update von „Wohlstand ohne Wachstum“ die Debatte für eine neue Wirtschaftswissenschaft voran. Das ist ein großes Verdienst, weshalb sein Buch ein Standardwerk der Wachstumsdebatte bleiben muss. Doch gleichzeitig ist das Buch auch Ausgangspunkt, um weiter und an die Wurzeln der Systemlogik gehend zu analysieren. Vermutlich beinhaltet dies auch eine Auseinandersetzung über die korrekte Bezeichnung des Systems, in dem wir leben. Ich befürchte, der von Jackson gebrauchte Begriff „Postwachstumskapitalismus“ ist ein Oxymoron, „Konsumkapitalismus“ ein Pleonasmus. Wir leben in einem System, dessen Strukturmerkmale Konsumismus, Wachstumszwang und die Vereinnahmung politischer Herrschaft ist. Das nennt Polanyi Marktgesellschaft, viele andere Kapitalismus. Fest steht: Es gibt verschiedene Marktgesellschaften und Kapitalismen. Sie konkretisieren sich historisch und geographisch vielfältig. Dies zu verstehen und politische Handlungsspielräume zu erweitern, wie Leben und Arbeiten nachhaltig und gerecht zu regulieren und organisieren sind, wäre Aufgabe der Wirtschaftswissenschaft, die sich nicht auf Optimierung und Effizienz beschränkt, sondern sich als Sozialwissenschaft definiert, die Wirtschaft und Gesellschaft verstehen und gestalten will.