Gekürzte Fassung eines Vortrags auf dem Symposium Burgers beschermen: GroenLinks van Koude Oorlog naar humanitaire interventie, am 11. September 2014 in Utrecht.

 

Auschwitz ist für mich unvergleichbar. Aber ich stehe auf zwei Grundsätzen: Nie wieder Krieg! Nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus! Beides gehört für mich zusammen!“ (Joschka Fischer auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Bielefeld am 13. Mai 1999)

Von dieser vielzitierten Aussprache des ehemaligen Bundesaußenministers Joschka Fischer lassen sich verschiedene, für die Auseinandersetzung von Bündnis 90/Die Grünen charakteristischen Aussagen ableiten.

  1. Das besondere Erbe der deutschen Vergangenheit hinsichtlich des Einsatzes von Waffen und die daraus vor allem vom linken politischen Spektrum abgeleitete besondere Verantwortung für den Schutz von Zivilisten.
  2. Die Leidenschaft und Durchsetzungskraft der vermutlich prägendsten grünen Persönlichkeit in der bündnisgrünen Geschichte und seine Wirkung auf die Veränderung seines politischen Umfeldes.
  3. Und insbesondere die Verbildlichung der Unvereinbarkeit einer Ablehnung von militärischen Mitteln und dem Aufbegehren gegen schwere Menschenrechtsverletzungen und menschenverachtende Regime.

 

Bündnis90/Die Grünen konstituierten sich offiziell am 14. Mai 1993 als Zusammenschluss zweier Parteien. Sie fusionierte aus den Parteien Die Grünen, die im Januar 1980 aus einem Zusammenschluss verschiedener Bürgerrechtsbewegungen entstanden, sowie Bündnis 90, einer im September 1991 offiziell geründeten Partei, die aus der Bürgerrechtsbewegung der ehemaligen DDR hervorging. Charakterisiert man die Gründungsgrünen denkt man zum einen an ökologische, soziale und basisdemokratische Grundsätze, aber im Besonderen auch an den Anspruch, eine gewaltfreie, pazifistische Alternative zu den bundesrepublikanisch etablierten Parteien sein zu wollen. Im Kontext des Kalten Krieges gehörten sie, wie auch die Vorgängerparteien von GroenLinks, zum politischen Kern der Friedensbewegungen, die sich für eine nukleare Abrüstung und Überwindung der Blockkonfrontation auf friedlichem Wege stark machten. Der Schutz der Menschenrechte als Grundkategorie ihrer Außenpolitik bildete sowohl bei den Grünen als auch in einem noch existenzielleren Maß bei den Bürgerrechtlern von Bündnis 90 ein unstrittiges und zentrales Anliegen.

Nach dem Ende des Kalten Krieges und der Renaissance von Nationalismen, innerstaatlichen Konflikten und damit einhergehenden schlimmsten Menschenrechtsverletzungen bis hin zu Genoziden geriet das pazifistische Grundprinzip der Partei immer stärker in einen Widerspruch mit dem Einsatz für Menschenrechte. Denn das Prinzip Pazifismus lehnte einen Eingriff mit Waffengewalt prinzipiell ab, wohingegen der Schutz der Menschenrechte zu Beginn der 1990er Jahre in Anbetracht der Dimension der aufkommenden Konflikte dieses wenn nötig erforderte.

Laut dem späteren grünen Staatsminister im Auswärtigen Amt, Ludger Volmer, der in seiner Dissertation das schwierige Verhältnis der Grünen zu ihrer Außenpolitik untersuchte, ist der grüne Pazifismus dieser Jahre in drei Strömungen zu unterscheiden:

  1. Der „radikalen Pazifismus“, der jede Form von Gewaltanwendung prinzipiell und unter allen Umständen ablehnt. Deren Anhänger können den sogenannten Fundis zugerechnet werden.
  2. Der „Nuklearpazifismus“, der die atomare Rüstung ablehnt, aber prinzipiell eine konventionelle Verteidigung akzeptiert. Diese sind eher den sogenannten Realos zuzuordnen.
  3. Der im linken Parteispektrum anzusiedelnden „politischen Pazifismus“, der nach einer waffenfreien Welt strebt, aber dem bewusst ist, dass auf einem langen Weg dorthin Schritte der Deeskalation, Integration, Rüstungskontrolle und Abrüstung nötig sind.

 

Diese haben grob gesagt eine Entwicklung von den Fundis zu den Realos vollzogen.

Im Kontext des Bosnienkrieges, in dem sowohl kroatische, aber vor allem serbische Truppenverbände ab 1992 grausame Menschenrechtsverletzungen an der bosnischen Bevölkerung begingen, sprachen sich erstmals Mitglieder der deutschen Grünen für einen massiven Militäreinsatz des Westens aus. Während dieses Konfliktes gibt es zwei Momente, die innerhalb der bündnisgrünen Diskussion besonders hervorzuheben sind.

Auf dem Länderrat in Hannover bekam im Juni 1993 eine Resolution eine Mehrheit, die zum Schutz der von einem Völkermord bedrohten Zivilbevölkerung in Bosnien militärische Gewaltanwendung forderte. Zum ersten Mal in der Geschichte der Partei wurde eine derartige Forderung durch ein Parteiorgan bestätigt.

Einige Realos, unter Ihnen vor allem ehemalige DDR-Bürgerrechtler, standen unter dem Eindruck von Delegationsreisen nach Bosnien und der medialen Berichterstattung über Vergewaltigungslager, ethnischen Vertreibungen und dem systematischen Abschneiden der muslimischen Zivilbevölkerung von der Versorgung mit Lebensmitteln und forderten ein stärkeres Eingreifen der UNO zum Schutz der bosnischen Zivilbevölkerung, zur Not auch mit Waffengewalt.

Auch wenn diese Resolution nur eine von mehreren konkurrierenden darstellte, führte die davon ausgehende Aussage der Unterstützung von militärischen Mitteln in der Partei zu einem Streit. Vor allem die radikalen Pazifisten aber auch große Teile der politischen Pazifisten waren über die Forderung ihrer Parteimitglieder nach einem militärischen Eingreifen entsetzt.

Die innerparteilichen Wogen konnten zwar im Oktober 1993 auf einer außerordentliche Bundesdelegiertenkonferenz (dem obersten Organ der Partei) geglättet werden, da sich auf dieser Versammlung eine übergroße Mehrheit einer Resolution anschloss, die zwar einen Genozid an den bosnischen Muslimen anerkannte, aber mit der Begründung, das Menschenrechte nicht militärisch zu erkämpfen seien, eine Intervention ablehnte. Die Realos, die sich für einen militärischen Einsatz in Bosnien aussprachen, bildeten somit zunächst eine kleine Minderheit hatten jedoch eine Debatte entfacht, die in folgenden Jahren immer wieder neu geführt werden sollte.

Knapp zwei Jahre später im Sommer 1995 verübten serbische Bosnier, das später als von der UNO als Völkermord klassifizierten Massaker von Srebrenica an der männlichen muslimischen Bevölkerung in dieser ursprünglich als Safe Area ausgerufenen UN-Schutzzone. Tief erschüttert von den dortigen Ereignissen wandte sich der damalige Fraktionsvorsitzende und spätere Außenminister Joschka Fischer in einem Brief an seine Partei, in dem er sich zum ersten Mal öffentlich für einen Kurswechsel der Bündnisgrünen zum Einsatz von militärischen Mitteln stark machte. Nach der Veröffentlichung dieses Briefes entbrannte erneut eine heftige Diskussion über die Frage nach der in Fischers Brief postulierten Interventionspflicht der internationalen Gemeinschaft im Falle eines Genozids. Obwohl auf der im Spätherbst folgenden Bremer BDK die interventionsablehnenden Kreise noch immer in der Mehrheit waren, hatten sich die Verhältnisse mit rund 40% der Delegierten schon in die Richtung der Befürworter verschoben.

Springen wir nun in das Jahr 1998: Aus den Bundestagswahlen im September ging Gerhard Schröders SPD als Wahlsieger hervor und dieser bildete in der folgenden Wahlperiode die erste rot-grüne Koalition. Joschka Fischer, der inzwischen nach seiner vierjährigen Zeit als Fraktionsvorsitzender im Bundestag zur Führungsfigur der Grünen aufgestiegen war, wurde Vize-Kanzler und bekleidete das Amt des Außenministers.

Die erste Bewährungsprobe hatte die neue Regierung schon vor Abschluss der Koalitionsverhandlungen zu leisten, als 1998 der Konflikt im ehemaligen Jugoslawien erneut aufkeimte – diesmal in der serbischen Provinz Kosovo. Alte, schon aus Bosnien bekannte Muster von ethnischen Vertreibungen traten auf serbischer Seite wieder zu Tage. Aufgrund der Erfahrungen der internationalen Gemeinschaft mit bisherigen Konflikten in den 1990er Jahren reagierte diese entschiedener und schneller. Die Geschichte ist bekannt, nachdem Russland den UNO-Sicherheitsrat blockierte, erließ der NATO-Rat, ohne Mandatierung durch die Vereinten Nationen zunächst im Oktober 1998 eine Activation Order (ActOrd) für den NATO-Oberbefehlshaber. Als dieses Druckmittel in den Verhandlungen mit dem serbischen Präsidenten Milosevic keine Wirkung erzielte, begannen im März 1999 NATO-Verbände mit Luftschlägen gegen die Serben. Und Bündnis 90/die Grünen waren mit ihrem Außenminister Joschka Fischer mittendrin.

Die designierte neue Bundesregierung, allen voran Gerhard Schröder, stand unter einem enormen internationalen Druck, sich als verlässlicher Bündnispartner zu erweisen. In einer kurzfristig einberufenen außerordentlichen Sitzung des Bundestages erteilte das Parlament mit den Stimmen von rot-grün ActOrd seine Zustimmung. Die schon bekannten innerparteilichen Konfliktlinien kamen an dieser Stelle wieder zu Tage. In der Abstimmung stimmte zwar eine grüne Mehrheit für den Erlass dieser NATO-Order, jedoch distanzierten sich vor allem die radikalen Pazifisten von der Entscheidung der Fraktion. Obwohl es zunächst so aussah, als würde unter dem Druck der ActOrd die politischen Deeskalationsbemühungen wirken, erwies sich der Optimismus wenige Monate später als trügerisch und als am 24. März 1999 die ersten NATO-Kampfjets aufstiegen, stand die Bundesrepublik mit einem kleinen Flieger-Kontingent in ihrem ersten aktiven Kampfeinsatz nach dem 2. Weltkrieg.

Joschka Fischer, der in der Zeit die Partei als ihr Vorsitzender sowie durch seine Funktion als Vizekanzler und Außenminister (außenpolitisch) dominierte, rechtfertigte die deutsche Haltung vor allem mit einem Rückbezug auf die deutsche Geschichte. Seine eingangs angeführte Losung: Nie wieder Krieg, aber auch nie wieder Auschwitz wurde von diesem Zeitpunkt an zum prägendsten Credo seiner weiteren Argumentation, die vor allem durch seine Rede auf der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz im Mai 1999 in Bielefeld berühmt wurde. Der Luftkrieg gegen Serbien dauerte nun schon seit beinahe zwei Monaten an, ohne das Serbien kapituliert hatte und die innerparteilichen Emotionen standen kurz vorm überkochen. Vor der Bielefelder Halle kam es zu tumultartigen Szenen und ein großes Polizeiaufgebot musste die Parteiversammlung schützen. In der Halle entlud sich gegen den Bundesaußenminister die innerparteiliche Wut einzelner Mitglieder gegen den Außenminister in Parolen und Schlachtrufen wie ‚Mörder‘, ‚Kriegshetzer‘ und ‚Verbrecher‘.

Ein dadurch noch motivierterer und wütendere Außenminister brachte durch eine engagierte, leidenschaftliche und emotionale Rede letztendlich mit 444 zu 318 Stimmen seine Partei hinter den Antrag des Bundesvorstandes zur weiteren Unterstützung des NATO-Einsatzes gegen Serbien. Zu Recht kann man diesen Tag wohl als Kulminationspunkt der bündnisgrünen Auseinandersetzung mit der Gratwanderung zwischen den beiden Grundsätzen der Partei, der pazifistischen Tradition sowie dem Schutz der Menschenrechte betrachten. Die seit Jahren geführte Grundsatzdebatte, die im Kontext des Bosnienkrieges die Parteiströmungen polarisierte, hätte die Partei fast zerrissen. Fischer brachte es aber, unbestritten auch unter dem Druck der Regierungsverantwortung, zustande, dass zum ersten Mal eine Mehrheit der Partei auf einer bündnisgrünen Bundesdelegiertenkonferenzen einem Militäreinsatz zustimmte.

Was fällt auf:

  1. Die innerparteiliche Auseinandersetzung über das bündnisgrüne Dilemma zwischen den beiden Grundprinzipien Menschenrechte und der Gewaltfreiheit, verlief in den 1990er und auch zu Beginn der 2000er Jahre immer sehr diskursiv bis hin zum offenen Streit, teilweise auch körperlichen Attacken, wie die Ereignisse in Bielefeld 1999 zeigen, und brachten die Partei an den Rande der Spaltung. Die erbitterten Diskussionen wurden jedoch auch sehr gründlich geführt und letztendlich hat die Partei sich nach einem sehr schmerzhaften Weg den veränderten weltpolitischen Rahmenbedingungen und Konfliktschemata gestellt.
  2. An die Zustimmung zu einem Militär-Einsatz wurden jedoch auch klare Bedingungen formuliert. Zum Beispiel müssen alle nichtmilitärischen Mittel ausgeschöpft sein, und diesen muss in jedem Fall ein Vorrang eingeräumt werden. Eine völkerrechtliche Legitimierung auf Basis der entsprechenden Kapitel der Charta der Vereinten Nationen muss vorliegen. Einsätze finden in einem multilateralen Rahmen statt und müssen klar umrissen und durch den Bundestag bestätigt werden. Die (in dieser gekürzten Fassung nicht behandelte) Ablehnung des Einsatzes im Irak 2003 durch Bündnis 90/Die Grünen ist an dieser Stelle auch im Kontext dieser klar formulierten Bedingungen zu betrachten.
  3. Dass die Partei zu ihrer im Grundsatzprogramm formulierten Aussage steht, sich dem Konflikt zwischen Gewaltfreiheit und Menschenrechtsschändungen zu stellen, zeigen beispielsweise auch die jährlichen, durch den Bundestag verlängerten Mandate für die OEF und die ISAF in Afghanistan. Obwohl beide Einsätze von Bündnis 90/Die Grünen keinen Freifahrtschein erhielten, wie eine außerordentliche BDK im Jahr 2007 zeigt, wurde der Einsatz als solcher, auch von der kritischen Parteibasis nicht kompromisslos in Frage gestellt – selbst zu einem Zeitpunkt, zu dem man wieder auf der Oppositionsbank platzgenommen hatte. Im Kontext einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Afghanistan und einer anstehenden Bundestagsabstimmung zur Entsendung von Tornado-Kampfflugzeugen ins Einsatzgebiet, wurde beschlossen, dass der deutsche Beitrag in Afghanistan nicht weiter militarisiert werden sollte. Der Parteitag sprach sich für eine sukzessive Zivilisierung des Mandates aus, ein kompletter und sofortiger Rückzug aus dem Einsatz wurde aber nicht thematisiert.

 

Diese pragmatisch-realpolitischere Sichtweise der Partei lässt sich gerade in der Zeit der Regierungsverantwortung 1998 bis 2005 abschließend noch einmal mit Worten von Joschka Fischer zum 11. September 2001 zusammenfassen: „Aber was auch immer die Zukunft für uns an Herausforderungen und Prüfungen bereit halten würde, wir waren in der Verantwortung und mussten handeln, gerade an diesem Tag.“

Peace, Love and Intervention
Peace, Love and Intervention

The 10th edition of the Green European Journal seeks to identify what makes the Green approach to foreign affairs distinctive, and asks whether ideals of peaceful resolution can stand up against the reality of a world ridden with complexity and conflict.