Die Welt befindet sich in einem Umbruch, der unsere Routinen, Institutionen und Produktionsweisen erschüttert. Ein Beispiel: Das fossile Mobilitäts- und Urbanitätsmodell wird sich radikal ändern, nicht nur wegen abnehmender Ölvorkommen, sondern vor allem aufgrund der steigenden Nachfrage der Schwellenländer. So steht die europäische Gesellschaft vor der Alternative, heute die anstehenden Veränderungen zu gestalten oder demnächst Opfer dieses Umbruchs zu werden.

 

Staat als Knotenpunkt politischen Handelns

Erfreulicherweise wächst seit einigen Jahren das Bewusstsein, dass wir an einer Zeitenwende stehen, die in ihrer Bedeutung mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft vergleichbar ist. In der Großen Transformation des 18. und 19. Jahrhunderts bildeten sich kapitalistische Marktgesellschaften, die basierend auf fossilen Energieträgern zu einem historisch einzigartigen Produktivitätswachstum führten. Dabei kam es auch zu einer großen Transformation des politischen Systems. Der Staat wurde zum Knotenpunkt politischen Handelns, während Wirtschaft und Gesellschaft anderen Logiken – wie dem unternehmerischen Gewinnstreben oder Prinzipien der Gegenseitigkeit – folgten. Die sich langsam weltweit durchsetzenden politischen Institutionen von Parlament und großen, nationalstaatlich organisierten Verwaltungsapparaten schufen eine eigene, mächtige Sphäre des Politischen. Allen voran durch die Steuereinnahmen und das Gewaltmonopol konzentrierte sich die politische Macht im Staatsapparat, während Privatunternehmen über die wirtschaftlicher Macht, allen voran Investitionsentscheidungen, verfügten.

In liberalen Marktgesellschaften oblag es gewählten VolksvertreterInnen, den gesellschaftlichen Interessen in Parlament und Verwaltung Gehör zu verschaffen: Abgeordnete thematisierten im Parlament den außerparlamentarischen Widerstand gegen Kraftwerksbauten. Gab es Missstände im Justizsystem konnten engagierte BürgerInnen mit Hilfe von Abgeordneten auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Doch gleichzeitig wurde damit das Politische eben auch delegiert. Die Krise der Demokratie, die wir gegenwärtig erleben, ist die Krise dieser Politikform als eines eigenständigen, von Fachleuten erledigten Bereichs. Erlebt wird dies manchmal als politische Entmündigung; langfristig führt es oftmals zum Gefühl politischer Ohnmacht.

Politik ist damit etwas Fremdes, dem Alltag der Menschen entrückt, das gelegentlich als hilfreich oder störend wahrgenommen wird. Doch Delegation funktioniert nicht einmal, wenn es bloß um das Weiterführen des Bestehenden geht. Bedürfnisse ändern sich und erfordern neue Regeln und eine neue Infrastruktur, wie gegenwärtig im Bereich der Kinder- und Altenbetreuung. Dann ist effizientes und effektives Verwalten des Bestehenden nicht geeignet, die anstehenden Veränderungen von Arbeits- und Lebensweisen zufriedenstellend zu gestalten. Das geht nur mit der Beteiligung der Menschen an Entscheidung und Durchführung. Wie die Energiewende von statten geht, ist eine Frage von Werten ebenso wie eine Frage systemischer Weichenstellungen und konkreter Kontexte: Wie viel Rücksicht ist auf Naturschutz zu nehmen, wenn Windparks gebaut und damit die Ölabhängigkeit reduziert wird?

Politische EntscheidungsträgerInnen verfügen nicht über die vielfältigen Perspektiven von Fachleuten und Betroffenen, die wesentlich zu einem systemischen Kontextwissen beitragen. Wird dieses Wissen genutzt, können verschiedene Sichtweisen und Interessen berücksichtigt und bessere Ergebnisse erzielt werden. So kann das politische System sensibler werden für gesellschaftliche Bewegungen und soziale Innovationen: Dies nenne ich einen öffentlichen und offenen Staat. Diese Öffnung des politischen Systems ist die erste Voraussetzung, damit der Wandel gestaltbar wird.

 

Eine neue ökologische Lebenskunst

Eine zweite Voraussetzung, den Wandel gemeinschaftlich zu gestalten, ist, dass diejenigen, die mit alternativen Unternehmens- und Finanzierungsformen, mit ökologischem Konsum, Fair Trade und sanfter Mobilität experimentieren, die Beziehung von Politik, Gesellschaft und Ökonomie neu denken. Ohn e Zweifel ist es positiv, dass sich in einer ökologisch sensiblen und verantwortungsbewussten Avantgarde eine neue Lebenskunst eines sorgsamen Umgangs mit Mensch und Natur herausbildet. Immer mehr Menschen beteiligen sich an der Suche nach alternativen Lebens- und Arbeitsformen. In Transition Towns werden neue Siedlungsformen geschaffen und Urbanität neu definiert. Die Commons-Bewegung reaktiviert bewährte Wirtschaftsmodelle und experimentiert mit neuen Regeln und Eigentumsformen. In Österreich zeigt die ökologische Landwirtschaft ihr Potential, gutes Essen für alle bereitzustellen.

Doch fehlt vielen zivilgesellschaftlichen AkteurInnen eine gemeinsame Vorstellung gesamtgesellschaftlicher Veränderung. Die implizite Hoffnung: Die Mosaiksteine einer nachhaltigen Gesellschaft werden durch eine unsichtbare Hand zu einem schönen, neuen Mosaik geformt. Doch so funktioniert Gesellschaft nicht. Laissez-faire ist eine Wirtschaftsdoktrin, keine realistische Weltsicht. Erneut ein Beispiel: Bewusstseinskampagnen über Peak Oil reichen nicht, damit Menschen mit dem Zug statt dem Auto pendeln. Zwar braucht es auch Information über Klimawandel und Kampagnen für neue Formen des Mobil-Seins ohne Auto, doch wichtiger sind neue Radwege, verbilligte öffentliche Verkehrsmittel, Kostenwahrheit und eine innovative Jugendkultur, die Mobilität neu lebt: heute mit dem ausgeborgten Auto, morgen mit dem Citybike und dann schlicht im Netz surfen, um mit Freunden und Kolleginnen in Kontakt zu bleiben.

So wie sich staatliche Institutionen öffnen müssen, so braucht es unter zivilgesellschaftlichen AkteurInnen eine selbstkritische Reflexion über den individualistischen Zeitgeist des Laissez-faire. Die anstehenden Umwälzungen unserer Art zu leben und zu arbeiten erfordern eine ökologische Lebenskunst des Miteinanders und des Vorsorgens. Das beinhaltet – und dies ist die zweite Voraussetzung für die gemeinsame Gestaltung der anstehenden Transformation – auch eine neue Form demokratischer Politik.

 

Brücke zwischen Staat und Zivilgesellschaft

Der für die Große Transformation notwendige Demokratisierungsschub beschränkt sich also genau nicht auf den als Politik definierten engen Bereich, sondern schafft neue Beteiligungsformen für die Gestaltung der sozialen und materiellen Infrastruktur, die es für eine sozioökologische Entwicklung braucht. Dies umfasst die Gründung von Genossenschaften, seien es Banken oder Food Cooperatives, ebenso wie eine Mobilitätsinfrastruktur, die umfassende Mobilität ohne Privatauto möglich macht. Dieser sozioökonomische Demokratisierungsschub kann nicht politisch verordnet werden, sondern passiert wesentlich jenseits des Politischen im herkömmlichen Sinn. Nur wenn sich das Verständnis von Demokratisierung von ihrer Bindung an herkömmliche politische Institutionen und Themenfelder löst, kann die Einbindung der Bevölkerung in die Gestaltung des Gemeinwesens ihre produktive Kraft entfalten.

Es braucht also eine doppelte Öffnung: Jene des Staates zur Gesellschaft und jene der BürgerInnen zum Gemeinwesen. Damit diese Öffnung funktioniert braucht es den Dialog und Austausch, wozu wiederum geeignete Institutionen als Brücken dienen können. So ist etwa weder die Energie- noch die Mobilitätswende mit dem gegenwärtigen, verkürzten und fragmentierten Verständnis von Politik und Gesellschaft machbar. Engagierte Einzelne müssen erkennen, dass kleine Schritte zu regionaler Nahversorgung und Naherholung von strukturellen Rahmenbedingungen und Machtverhältnissen abhängen: Wirtschaft ist politisch, und auf dem Weg zur Nachhaltigkeit gibt es Widerstand mächtiger Lobbys und bis dato privilegierter Interessen. Gesetzliche Rahmenbedingungen zur Stärkung lokaler Märkte und zur Verteuerung fossil-basierter Mobilität müssen erstritten und Konflikte ausgetragen werden. Herzen und Hirne der Menschen müssen begeistert werden. All dies, und nicht bloß das Vertrauen, das Richtige werde sich schon durchsetzen, ist Voraussetzung, damit Transition Towns über ihr Nischendasein hinaus zur Norm der Siedlungen des 21. Jahrhunderts werden.

Eine solche Brückenfunktion zwischen Staat und Zivilgesellschaft kann gut von den politischen Stiftungen der Parteien wahrgenommen werden. Im besten Fall – d.h. bei ausreichender finanzieller Ausstattung wie z.B. in Deutschland – sind sie gleichermaßen Think Tank und für die politische Bildungsarbeit zuständig. Dies führt zu einem doppelten Auftrag: Zum einen durch Aufklärung das Verständnis der BürgerInnen für die Komplexität des politischen Systems wecken; zum anderen das Bewusstsein politischer EntscheidungsträgerInnen schärfen, dass eine Wende nur mit engagierten BürgerInnen und den vielfältigen Initiativen vor Ort möglich wird. So können politische Stiftungen ein neues, positives Bild von Politik als gemeinsame Gestaltung des Gemeinwesens entwerfen und in praktischen Beispielen umsetzen.

 

Grüne Bildungswerkstatt und umfassende Demokratisierung

In Österreich versucht die Grüne Bildungswerkstatt in diesem Sinn, als Brücke zwischen politischem System und engagierter Zivilgesellschaft zu fungieren. Nicht als Stiftung, sondern als Verein organisiert, versteht sie sich als Teil der Zivilgesellschaft. Den Großteil ihrer Mittel erhält sie jedoch deswegen, weil sie von der Grünen Partei als ihre politische Bildungseinrichtung benannt wird. Dies führt zu einem Naheverhältnis zum politischen System und einem gesetzlich definierten Auftrag zur staatsbürgerlichen, nicht parteipolitisch reduzierten Bildungsarbeit. Diese Doppelrolle versucht sie bestmöglich zu nutzen.

Dies erfordert ein klares, transparentes Selbstverständnis, das sich weder auf die zivilgesellschaftliche, noch auf die parteipolitische Dimension reduziert. Im Kern dieses Selbstverständnisses steht die konkrete Utopie eines Guten Lebens für Alle. Dieses überparteiliche Ziel ermöglicht, die eigene Bildungsarbeit als Beitrag zur Schaffung einer nachhaltigen Zivilisation zu verstehen. Mit einem geschärften Bewusstsein für demokratische Aushandlungsprozesse trägt sie Wissen über die Funktionsweise von Politik, Gesellschaft und Wirtschaft in die Zivilgesellschaft.

Aus der Brückenfunktion resultieren Anregungen für die PartnerInnen: Gegenüber zivilgesellschaftlichen Organisationen verweist die Grüne Bildungswerkstatt auf die fortgesetzte Bedeutung staatlicher Institutionen. Die öffentlichen Mittel des Steuerstaats könnten wesentlich zur Finanzierung der sozialökologischen Transformation beitragen. So kooperiert die Grüne Bildungswerkstatt mit der zivilgesellschaftlichen Kampagne gegen TTIP und für ein von der Zivilgesellschaft erarbeitetes Zukunftsbudget. Transparenz und Demokratisierung der Mittelvergabe sind Kernforderungen der Grünen Bildungswerkstatt.

Gegenüber staatlichen Institutionen, aber auch gegenüber der Grünen Partei wiederum wirkt sie darauf hin, vermehrt mit innovativen Beteiligungsmodellen zu experimentieren und das Wissen von Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Betroffenen systematisch zu nutzen. Gerade soziale Bewegungen, NGOs und NPOs sind wichtige Zwischeninstanzen der Gesellschaft, die im Sinne des Gemeinwohls Alltagsprobleme politisieren. Beispiele für derartige Bildungs- und Politisierungsprozesse sind diverse Vernetzungsbemühungen wie „Europa geht anders“, die Postwachstums- und die Commons-Bewegung. Mit Respekt gegenüber Verschiedenheit und dem Bemühen, die jeweiligen Stärken für das gemeinsame Ziel einzusetzen, kann aus den jetzt schon vorhandenen Mosaiksteinen tatsächlich ein schönes, neues Mosaik einer nachhaltigen Gesellschaft entstehen: vielfältig, nachhaltig, gerecht – und demokratisch.

The Green Democratic Reboot
The Green Democratic Reboot

This issue is structured around three principles categories: the Green understanding of democracy, Green foundations in Europe and concrete initiatives to promote active citizenship.