Kaum etwas entging den „Titanenkräften“ der industriellen Moderne. Sie hat die Welt umgepflügt und neu geschaffen. Sie prägte auch ein Denken, dem die ganze Welt vom kinematischen Prinzip der Maschinen beherrscht schien. Auch der Mensch sollte zu einer Art Maschine werden, wobei sein Geist sich – einer einschlägigen Formulierung zufolge – zum Gehirn in etwa so verhalten sollte wie die Gallenflüssigkeit zur Galle. Oder aber man exilierte den menschlichen Geist und zog einen scharfen Trennstrich zur materiellen Welt, die sich der menschlichen Kontrolle als unterworfener oder noch zu unterwerfender Raum darbot.

Eine Folge der Naturalisierung respektive Exilierung der menschlichen Existenz aus der Natur war die Leibvergessenheit. Leib und Körper wurden zu einer unerwünschten und zu verdrängenden Erinnerung. Sie erinnerten daran, dass menschliche Existenz bis in ihre organisch-sinnliche Grundlage hinein mehr ist als eine nur maschinelle. Oder daran, dass der Mensch sich aus der materiellen Welt nicht einfach in die Hinterwelt einer abgehoben lenkenden Geistigkeit zurückziehen kann. Die Kampffelder des Industrialismus und des instrumentellen Denkens durchzogen die ureigensten Eigenheiten leiblich-körperlicher Existenz.

Die Verdrängung der ökologischen Frage

Auch die großen politischen Konzeptionen – Liberalismus, Konservatismus, Sozialismus – waren tief vom Industrialismus geprägt. Er war das Schlachtfeld, auf dem die Kombattanten gemeinsam standen – während sie sich über Sozialismus, Marktwirtschaft oder „Dritten Weg“ heftig in den Haaren lagen. Der Glaube daran, dass die menschliche Verfügung über die Natur fast unbegrenzt ausgedehnt werden könnte, war common sense. Der Industrialismus war die eigentliche Weltanschauung der Epoche, der die drei Hauptkonzeptionen und ihre Vertreter enger aneinander band, als sie selbst je vermeinten.

Aber der Industrialismus hat viele Gesichter. Auch die westliche Sozialdemokratie war tief von ihm durchdrungen.

Diese gemeinsame Basis zeigte sich am prägnantesten dort, wo sie der ökologischen Frage auswichen. Zum Beispiel in einem Marxismus, der das ökologische Denken als falsche und mystifizierte Kritik ablehnte, weil es Auswirkungen moderner Technik auf Umwelt und Natur in den Mittelpunkt stellt und riskante Techniken wie die Atomkraft prinzipiell ablehnt. Wer so etwas tut, konnte nur ein romantisch-naiver Technikpessimist oder gar ein Maschinenstürmer sein und hatte nicht begriffen, dass die „soziale Formbestimmtheit“ das eigentliche Problem ist, also die bürgerlichen Eigentumsverhältnisse, unter denen Technik zum Einsatz kommt. Eine solche Ökologiekritik verstieg sich bis zur Aussage, dass sozialistische Atomkraftwerke sicher seien, weil für ihren Betrieb ja nicht das kapitalistische Profitmotiv, sondern einzig das Wohl des Volkes den Ausschlag gebe. Tschernobyl wurde zum Fanal dieses Denkens. Die Atomkatastrophe offenbarte, dass man nicht nur die Defekte des realen Sozialismus übersehen hatte, sondern auch die Gefahren, die in der nicht beherrschbaren Großtechnologie der Atomkraft als solcher begründet liegen.

Aber der Industrialismus hat viele Gesichter. Auch die westliche Sozialdemokratie war tief von ihm durchdrungen. Sie kämpfte für Atomkraft, für die „autogerechte Stadt“ und – bis auf den heutigen Tag – gegen einen schnellen Kohleausstieg. Und Konservative und Liberale des Westens kehrten das marxistische Argument von der sozialen Formbestimmtheit einfach um. Die Gefahren der Atomkraft sollten nicht dem kapitalistischen Profitprinzip, sondern einem „sozialistischen Schlendrian“ geschuldet sein. Doch auch dieses Argument wurde bald hinfällig. Fukushima erwies sich als Tschernobyl eines marktwirtschaftlich-liberalen Industrialismus.

Kritik des Instrumentalismus

Aber es gab nicht nur den mehr oder weniger blinden Industrialismus. Vieles von dem, was die Ökologiebewegung heute auf die Tagesordnung setzt, hatte bereits Vorformen in der Hochzeit des Industrialismus, etwa in der Lebensreformbewegung, in Sport- und Wanderbewegungen, die es „Aus grauer Städte Mauern“ in die Natur hinaus zog. Oder in einer Reformarchitektur, die Luft und Sonne in die Arbeitersiedlungen der Industriestädte hinein holen wollte. Auch die Philosophie entwickelte ein Gespür für die Kosten des modernen Industrialismus. Angefangen mit der Romantik und ihrer ästhetischen Entdeckung der Natur über verschiedene Varianten einer konservativen Kulturkritik bis hin zur Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, die das Fortschritts- und Aufklärungsmodell der Moderne hinterfragte. So unterschiedlich diese Ansätze waren, sie alle einte der Versuch, eine im Fortschrittsgeschehen vergessene und verdrängte Andersheit und Differenz zur instrumentalistisch-industrialistischen Ratio geltend zu machen.

Denn bei aller Bewunderung für die moderne Produktivkraftentwicklung weiß Marx sehr wohl, dass der Mensch Teil der Natur ist und bleibt.

Horkheimer und Adorno, die Autoren der „Dialektik der Aufklärung“, rekonstruierten, wie Aufklärung mit ihrem ursprünglichen Humanitätsideal in eine nur noch funktionale und instrumentelle Vernunft umschlägt und dabei einen Weg in Technokratie, Faschismus und Gewaltherrschaft bahnt. Dabei endet ihr Text melancholisch, mit einer an der amerikanischen Kulturindustrie der 1940er Jahre gewonnenen Vorstellung von einem universellen Verblendungszusammenhang, der Kritik an den Zuständen wirkungslos verpuffen lässt. Verwandte Ansätze aus dem Umkreis der Frankfurter Schule finden sich in Herbert Marcuses „Der eindimensionale Mensch“ oder in Erich Fromms „Haben oder Sein“.

Arnold Gehlen übte mit „Die Seele im technischen Zeitalter“ Kritik eine konservative Kulturkritik am Industrialismus. Heideggers Technikphilosophie erblickt das Wesen der modernen Technik dagegen im „Gestell“, womit er nicht Montagestücke der modernen Industrie meint, sondern eine mit der modernen Technik verbundene Art der Welterschließung, eine „Weise des Entbergens, die im Wesen der modernen Technik waltet“ und das Tun und Denken dominiert. Die Welt erscheint als Teil einer bloß technisch-instrumentell anvisierten Verfügungsmasse. Letztlich beherrscht das „Gestell“ den Menschen und nicht umgekehrt. Vergessen wird, dass die Welt sich auch ganz anders „geben“ könnte. Im Vergessen der Andersheit qua Technik kulminiert für Heidegger die „Seinsvergessenheit“ der ganzen metaphysischen Tradition.

Naturvergessenheit

Wer nicht bei einer solch raunenden Erinnerung stehen bleiben will, findet bei Marx einen bestimmteren Anknüpfungspunkt für ein ökologisch-kritisches Denken. Denn bei aller Bewunderung für die moderne Produktivkraftentwicklung weiß Marx sehr wohl, dass der Mensch Teil der Natur ist und bleibt – nämlich jener besondere Teil, in dem Natur sich ihrer selbst ansichtig wird. Ökologisches Denken sollte diesen Gedanken, der vor allem in Marx´ Frühschriften aufscheint, aufgreifen und weiterführen und sich als ein Denken bestimmen, das durchdenkt, wie Natur sich qua Mensch selbst praktisch und theoretisch gegenüber tritt.

Die Reflexion, die sich hieraus ergibt, ist nicht einfach. Sie erinnert daran, dass menschliche Existenz in der Kontinuität des Naturzusammenhanges steht. Als dezidiert natürliches Wesen ist der Mensch Teil der kausalen Verkettungen und Wirkzusammenhänge, in denen alles Seiende sich in Seiendem reflektiert. Gleichzeitig akzentuiert die ökologische Reflexion aber den Unterschied, der sich daraus ergibt, dass der Mensch diesem Naturzusammenhang auch bewusst und zweckhaft gegenüber tritt. Er ist Natur, bringt sich innerhalb der Natur aber in eine exzentrische Position. Er kann der Natur nicht entkommen, ist aber auch nicht strikt von ihr determiniert.

Aus diesem Verhältnis von Identität und Unterschied wird der Gegenstand der ökologischen Kritik näher bestimmbar. Sie geht auf etwas, das im kausal-zweckhaften Doppelverhältnis von Menschen und Natur regelmäßig übersehen wird. Sie beschäftigt sich mit den blinden Flecken der menschlichen Eingriffe in die Natur und mit deren problematischen Rück- und Seitenwirkungen auf Natur und Gesellschaft. Dabei erinnert sie erstens daran, dass Natur nicht einfach eine tote Baukastenmaterie ist, sondern ein in Netzwerken und komplexen Verkettungen mannigfaltig in sich reflektierter Zusammenhang. Und zweitens daran, dass der Mensch qua Leib und Körper selbst ein natürliches Wesen ist. Und drittens daran, dass er mit seinen Eingriffen in Natur auch in etwas eingreift, das er selbst ist – nämlich Natur.

Arbeit als Stoffwechsel mit der Natur

Menschliche Existenz wendet sich spezifisch auf Natur zurück. Im Unterschied zum tierischen Naturverhältnis bringt sie Hilfsmittel zum Einsatz – Instrumente, Werkzeuge und Techniken –, die nicht bloß aufgefunden, sondern eigens hergestellt sind. In den Instrumenten vergegenständlichen und verallgemeinern sich die produktiven Zwecke der Menschen. Eine technisch-kulturelle Welt entsteht, in der sich ein solcher Umgang mit der Natur auf Dauer stellt und tradiert.

Heidegger zeigte in „Sein und Zeit“, wie das werkzeugvermittelte Naturverhältnis sich über routinierte und tief eingelebte Sinnzusammenhänge realisiert. Erst wenn im Arbeitsvorgang etwas fehlt und nicht mehr „zuhanden“ ist, werden diese Zusammenhänge fraglich. Hier sollte man noch einen Schritt weiter gehen und nach der zusätzlichen Verfremdung fragen, die eintritt, wenn alles zum Erfolg Nötige eigentlich zuhanden ist, der Akt der Naturauseinandersetzung aber dennoch scheitert. In dieser Verfremdung wird nicht nur der organisierende Sinnzusammenhang thematisch, sondern auch etwas, das über ihn hinausschießt – Widerstände und Friktionen, die sich der vorausliegenden Sinnstrukturierung entziehen. Die menschliche Naturauseinandersetzung stößt auf einen harten Rest, der sich nicht einfach Vorhersehen oder Weginterpretieren lässt und den auch ein radikaler Konstruktivismus nicht vorgängig aufbauen und ein radikaler Dekonstruktivismus nicht nachträglich abbauen kann. Kant hatte gute Gründe an einem solchen Rest festzuhalten. Er nannte ihn „Ding an sich“ – eine weithin verborgene Andersheit, mit der dennoch zu rechnen ist.

Das ökologische Denken ist ein Rechnen mit Andersheit im Naturverhältnis. Es rechnet mit Widrigkeiten und Friktionen, vor allem auf der hohen Stufenleiter der industriellen Produktion. Doch die Grundkategorien, aus denen es zu entwickeln ist, sind bereits an der einfachen handwerklichen Arbeitstätigkeit ablesbar – dort, wo Arbeit mit der „Dingheit synthesiert“ ist, wie Hegel es in seiner Herr/Knecht-Dialektik ausdrückte. Die elementare menschliche Naturauseinandersetzung ist so auch der Ausgangspunkt der ökologischen Reflexion, die praktische Synthese im einfachen handwerklichen Arbeitsprozess, die die Faktoren zielgerichtetes Tun, Instrument und Arbeitsgegenstand zusammenschließt. Und zwar nicht in jenem positiven Sinne, wonach ein solcher Arbeitsprozess im Vergleich zur zerteilten und zergliederten Industriearbeit „ganzheitlicher“ und weniger entfremdet ist, sondern im negativen Sinne, wonach konkrete Arbeit stets auch ein sich Abarbeiten an Widrigkeiten und Friktionen ist. Diese Seite zeigt sich in der einfachen Arbeit elementar und unverstellt. Sie tritt dort in Erscheinung, wo das Ding nicht so will, wie der Mensch, wo es zerbricht, bevor es die bezweckte Form erreicht hat, wo der Hammerschlag den Finger trifft, und nicht den Nagel an der Wand. Bereits diese Widrigkeiten konterkarieren eine Abstraktion, die die tatsächliche Naturauseinandersetzung weitgehend ausklammert, um sie bloß so in den Blick zu nehmen, als ginge es ausschließlich um vorgängige Zwecke und Ideen, die sich dann weitgehend bruchlos und wesensidentisch in einem Produkt realisieren. Der Standpunkt der Arbeit als konkrete Naturauseinandersetzung weiß dagegen, dass sich auf dem Weg vom Möglichen, dem vorgefassten Zweck, zum Wirklichen als Produkt so einiges tut. Oft kommt es anders, als man denkt. Das ist im Kern das, was ökologische Kritik aus der einfachen Naturauseinandersetzung lernt!

Spezifischer beschäftigt sie sich mit dem Teilbereich von Andersheit, der in Erinnerung ruft, dass Natur mehr ist als eine Verfügungsmasse für menschliche Zwecke. Und zwar so viel mehr, dass sie den Arbeitenden und auch seine Gesellschaft mit umfasst. Die entsprechenden Friktionen sind bereits Teil der vormodernen Produktion. So haben die Nebenwirkungen und Folgeschäden von Substanzen, die jahrhundertelang zum Färben und Gerben verwendet wurden, nicht nur viele Handwerkergenerationen dezimiert, sondern ganze Viertel der mittelalterlichen und frühmodernen Städte zu ökologischen No-go-Areas gemacht. Aber auch die tiefer reichenden Friktionen, die für die moderne industrielle Naturauseinandersetzung charakteristisch sind, haben eine lange Vorgeschichte. Etwa als Folge der großflächigen Abholzungen von Wäldern, die es bereits in der Antike gab. Hier geht es nicht mehr um einzelne Dinge und ihre besonderen Widrigkeiten, sondern um massive und weitreichende Rückwirkungen einer übernutzten Natur auf ökologische Systeme, die umkippen und ganze Landschaften veröden und verkarsten lassen. Sartre hat am Beispiel von Abholzungen ein wichtiges Grundkonzept der ökologischen Reflexion entwickelt, nämlich das der „Kontrafinalität“. Es steht für räumlich und zeitlich ausgedehnte Folgen der menschlichen Naturauseinandersetzung, die katastrophisch auf Natur und Gesellschaft zurückwirken.

Wir sind die Natur!

Ökologische Kritik erinnert daran, dass Natur die Basis der menschlichen Existenz ist. Politisch-praktisch gewendet wird sie zu einer Verteidigung der Natur. Und zwar nicht im Sinn eines genitivus objectivus – so als wäre eine im Genitiv angesprochene Natur bloß ein weiteres äußeres Objekt. Verteidigung der Natur wird vielmehr zu einem Engagement, in dem sich – emphatisch gesprochen – Natur selbst verteidigt. Ein solches Verständnis erweitert Natur um jene Seite, die der junge Ökologe Baptiste L. zum Ausdruck bringt, wenn er schreibt: „Nous ne défendons pas la nature, nous sommes la nature qui se défend.“

Selbstverständlich ist das ist nicht im Sinne eines naturalisierten Engagements zu verstehen. Der Mensch ist nicht willenloser Teil einer Ökomaschine, die nicht anders kann, als im Sinne des Umweltschutzes zu wirken. Und es geht auch um keine fragwürdige Subjektivierung, die Natur im Sinne einer Gaia-Hypothese als Übersubjekt fasst und die Welt als Ganze zu einem eigenen Lebewesen hypostasiert. Auch theistische oder pantheistische Spekulationen, die den Naturprozess von verborgenden Innen- oder Hinterwelten her denken, sind nicht nötig. Selbstverteidigung der Natur meint vielmehr den Doppelvorgang, in dem eine unpersönliche und bewusstlose Gegenfinalität die menschlichen Verursacher einer ökologischen Krise heimsucht, um mit der Friktion ein Bewusstwerden des größeren Zusammenhangs und seine Bearbeitung zu ermöglichen – eine ökologische Reflexion, die sich von diesem Zusammenhang unterscheidet, indem sie versteht, dass und wie sie mit ihm identisch ist.

Die Basis, auf der das geschieht, ist der menschliche Leib und Körper, jener Teil der Natur, mit dem menschliche Existenz mitten inne steht in dem, was sie hier reflektiert und bearbeitet – jenes Mittlere, das vermittelt, und das der moderne Instrumentalismus nach den Seiten des Subjektiven und Objektiven auseinandergerissen hat. Leib und Körper sind die Basis, die das Wissen um das, was der Mensch anrichtet, dringlich macht – solange ihm Leib und Leben lieb und wert sind.

Die Frage der Ökologisierung

Den Parteien des alten Industrialismus galt das ökologische Denken lange als ein „postmaterielles“ – ein Denken von Bürgerkindern, die sonst keine anderen Probleme haben. Auf diese Weise wurde ein Gegensatz zwischen Ökologie, Ökonomie und sozialer Gerechtigkeit konstruiert. Ökologische Ansprüche sollten die Wirtschaft ruinieren und den Arbeitern ihren mühsam erarbeiteten Wohlstand rauben – so lautete jedenfalls das Credo der lager- und blockübergreifenden industrialistischen Internationale. Inzwischen ist deutlich, dass die ökologische Reflexion die Stellung des Menschen in der modernen Welt weit angemessener bestimmen kann als ein alter Industrialismus, der von den Nebenfolgen und Friktionen der menschlichen Naturauseinandersetzung einfach abstrahierte. Und was die soziale Frage betrifft, so hat gerade der Klimawandel drastisch die Einsicht bestätigt, die sich bereits der Lektüre von Engels „Die Lage der arbeitenden Klasse in England“ hätte entnehmen lassen – dass nämlich die Allerärmsten stets die Hauptopfer von ökologischen Krisen sind.

Die Ökologisierung ist eine der großen Chancen. Und ihr Ausbleiben eine der großen Gefahren.

Doch der traditionelle Industrialismus ist in vielen entwickelten Ländern bereits Geschichte. Die alten Industrien schrumpften. In den entwickelten Ländern künden oft nur noch rust belts von ihnen. Teile der Produktion wurden in den globalen Süden verlagert. Gleichzeitig dehnte sich der nicht-industrielle tertiäre Sektor aus. Und die verbliebenen Industrien veränderten mit der Automatisierung und Digitalisierung ihr Gesicht. Die industrielle Welt ist in einem tiefen Umbruch – eine Situation voller Chancen und Probleme.

Die Ökologisierung ist eine der großen Chancen. Und ihr Ausbleiben eine der großen Gefahren. Die grünen Parteien wissen das. Und auch traditionelle Akteure und Parteien aus der alten Trias von Konservatismus, Liberalismus und Sozialismus modifizieren inzwischen ihre Positionen. Ökonomie und Ökologie werden nicht länger als strikter Gegensatz, sondern eher additiv gefasst, meist in der halbherzigen Form, wonach Ökologie eben auch noch zur Ökonomie hinzukommen sollte – wo es denn möglich ist. Dabei hätten auch die traditionellen Parteien gute Chancen, den ökologischen Anspruch viel radikaler zu formulieren. Konservative könnten sich auf den vergessenen Anspruch eines „Erhalts der Schöpfung“ besinnen. Liberale könnten die Marktkräfte identifizieren, die eine ökologische Wende vorantreiben. Und Sozialisten könnten das Akkumulationsregime kritisieren, das einer solchen Wende entgegensteht.

Es geht darum, die Stellschrauben so zu verändern, dass die Ökologisierung zu einem entscheidenden inneren Vektor von Wirtschaft und Industrie wird – das Feld, auf dem der Wettbewerb um die Techniken und Produkte von Morgen ausgetragen wird, und nicht bloß ein Nebenschauplatz, der nur additiv in Betracht gezogen wird. Kluge Unternehmer und weitblickende Gewerkschafter haben diese Aufgabe längst begriffen. Auch für viele Wissenschaftler und Ingenieure ist der Anspruch der Ökologisierung längst Teil ihres Berufsethos. Sie sind deutlich weiter als die Parteien des alten Industrialismus.

Populismus und Zombie-Industrialismus

Doch inzwischen gibt es eine dritte Position. Sie will die These vom Gegensatz Ökologie oder Ökonomie nicht überwinden oder abschwächen, sondern zuspitzen. Sie will ökologische Ansprüche mit einem Zombie-Industrialismus übertrumpfen und konterkarieren. Mächtige Vertreter dieser Politik sitzen in der US-Administration und in anderen populistisch regierten Ländern. Und zahlreiche weitere Vertreter rüsten sich weltweit für einen antiökologischen roll back.

Populisten machen sich dabei zu Lautsprechern der Kohlenstofflobby und des ungezügelten „Drill, baby drill!“. Sie kämpfen für einen radikalisierten Extraktivismus und gegen die Dekarbonisierung der Wirtschaft. Sie sprengen den Weg frei für Frackinggas und helfen, auch noch die letzten Tropfen Öl aus dem Planeten herauszuquetschen. Und eine industrialisierte Landwirtschaft und Massenviehhaltung im Gefolge trägt das ihre zum Klimawandel und zum größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier bei.

Ein Bündnis für Demokratie und Nachhaltigkeit und gegen die neuen Barbaren aus Populismus und Zombie-Industrialismus ist die große Aufgabe unserer Zeit.

Doch auch die soziale Frage erscheint vielerorts wieder als ein vernachlässigbarer Faktor. Auch etwa beim Abbau Seltener Erden in Ländern des Südens, wo archaisch ausgebeutete Arbeitskräfte Grundstoffe für die avancierten Produkte der High-Tech-Länder fördern. Und auch in den reichen Ländern wird wieder völkisch differenziert und ausgegrenzt. Die „Fremden“ sollen raus, damit für das „eigene Volk“ genug übrig bleibt. Nicht nur die Mensch/Natur-, sondern auch die Mensch/Mensch-Beziehung wird brutalisiert. Doch gibt es hier einen tieferen Zusammenhang? Ist es Zufall oder hat es Methode, dass beide Brutalisierungen heute zusammenfallen?

Noch einmal Herr/Knecht

Zur Antwort lohnt ein weiterer Blick auf Hegels Herr/Knecht-Dialektik. Die Abstraktion von der Widerständigkeit der Dinge, mit der ja auch die ökologische Frage aus dem Blick gerät, erweist sich bei Hegel als Teil einer sozialen Beziehung. Es handelt sich um den Standpunkt des Herrn, der, anders als sein Knecht, mit der konkreten Einarbeitung der Zwecke in die Dinge nicht viel zu tun hat. Hegels Herr ist kein innovativer Unternehmer, sondern einer, der – wie einst Sklavenhalter und Feudalherren –Mensch und Natur gewaltsam knechten und unterwerfen will. Tatsächlich ist die archaische Unterwerfung von Mensch und Natur in der Moderne nicht einfach verschwunden. Sie war sogar Teil ihrer Heraufkunft in der sogenannten „ursprünglichen Akkumulation“. Der Kolonialismus, die Geschichte der Sklaverei in den USA oder die Arbeitsbedingungen in vielen heutigen des globalen Südens sind weitere Beispiele dafür. Ebenso die – von Ernst Jünger bewunderte – Militarisierung von Arbeit in der Stalinschen Industrialisierung. Oder ihrer Militarisierung im Nationalsozialismus, der an einer industriellen „Arbeitsfront“ mit der Natur kämpfte, wo er nicht eine Vernichtung von Leben durch Arbeit praktizierte.

Der Zombie-Industrialismus unserer Tage verbindet ökologische und soziale Rücksichtslosigkeit mit besonderen Feindbildkonstruktionen und Gewaltphantasien. Ökologische Aktivisten werden nicht mehr nur als naive „Postmaterialisten“ verniedlicht, sondern sollen nun „Klimanazis“ sein, wie eine deutsche Populistin es formulierte –Ausgeburten des Bösen, die zusammen mit Migranten, Flüchtlingen oder Muslime verdrängt und ausgegrenzt werden müssen. Der brasilianische Präsident Bolsonaro, der mit einer rücksichtslosen Politik der Abholzung und Brandrodung die verbliebenen Regenwälder bedroht, haut in die gleiche Kerbe, wenn er behauptet, dass Umweltschützer die brasilianischen Urwälder angezündet hätten.

Ein populistisch bemäntelter und befeuerter Industrialismus rüstet so zu seinem Endkampf. Er will alle ökologischen und sozialen Gestehungskosten aus den eigenen Kosten radikal herausrechnen. Mit der Art, wie er Natur zerstört und Gesellschaften spaltet und desintegriert, folgt er dem Prinzip „Nach mir die Sintflut“: Die Umwelt und die Nachwelt sollen bezahlen! Für den kurzfristigen Profit riskiert er so das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Deshalb macht er einen Widerstand erforderlich, der soziale, wirtschaftliche und ökologische Vernunft engagiert zusammen bringt. Ein Bündnis für Demokratie und Nachhaltigkeit und gegen die neuen Barbaren aus Populismus und Zombie-Industrialismus ist die große Aufgabe unserer Zeit.

Dieser Artikel ist Teil unserer neuesten Ausgabe, A World Alive: Green Politics in Europe and Beyond”.

A World Alive: Green Politics in Europe and Beyond
A World Alive: Green Politics in Europe and Beyond

This edition explores the different worlds of green politics today. From concepts such as ecofeminism and the Green New Deal to questions of narrative and institutional change, it maps the forces, strategies, and ideas that will power political ecology, across Europe as around the world.

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